Rund um die Ponyfarm
ab. Ich lockerte meinen Griff und ließ sie für ein paar Schritte gewähren. Dann versuchte ich es wieder und nahm die Zügel noch kürzer. Ich wagte nicht, die Stute gegen die Steinwälle zu drängen, die die Straße einschlossen. Am Ende würde sie in ihrer panischen Angst versuchen, darüber hinwegzuspringen. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich mit aller Macht in den Sattel zu drücken und abwechselnd die Zügel zu straffen und wieder freizugeben.
Doch alle meine Versuche blieben erfolglos. Vielleicht war Kirsty so hart im Maul, dass sie schon gar nicht mehr auf die Trense reagierte. Aber das konnte nicht der Grund sein. Sie hatte sich an den Tagen zuvor sehr gut führen lassen. Nein, irgendwie musste es ihr gelungen sein, das Gebiss zwischen die Zähne zu schieben. Hinter mir hörte ich die Hufe von anderen Ponys über die Steine donnern. Das waren bestimmt Carol oder Hamish und Andy oder alle drei zugleich. Sie wollten mir zu Hilfe kommen, aber ihre Verfolgungsjagd trieb Kirsty nur noch schneller vorwärts.
Ich hätte nie gedacht, dass die sonst so gelassene Hochland-Stute überhaupt so schnell sein konnte. Wir konnten jetzt schon das Meer sehen, und der Weg vor uns senkte sich gefährlich steil zur Küste hinab.
„Um Himmels willen, Kirsty, halt an!“ Mir blieb beinahe das Herz stehen. Der Pfad vor uns wurde schmaler und führte wie eine Treppe abwärts.
Ich weiß nicht, was mit uns geschehen wäre, wenn uns nicht in diesem Augenblick ein glückliches Schicksal zur Hilfe gekommen wäre.
Dicht vor uns lief ein Junge den Pfad entlang. Er hatte ein paar Zeitungen unter den Arm geklemmt, trug in einer Hand eine Ölkanne und in der anderen etwas, das wie ein Benzinkanister aussah. Sein strähniges Haar hing bis auf die Schultern seines schmutzigen, karierten Hemds herab. Es war Alfie!
Ob er mir helfen wollte, oder ob er aus lauter Schreck das Richtige tat – ich weiß es nicht. Jedenfalls ließ er die schweren Kannen fallen, die Zeitungen flatterten zu Boden, und mit einem Satz sprang er heran und packte Kirsty am Zügel.
„Halt, ruhig! Ganz ruhig!“ Gewaltsam brachte er die Stute zum Stillstand und starrte mich mit einem entsetzten Blick seiner hellbraunen Augen an.
„Bist du wahnsinnig geworden? Das ist ja lebensgefährlich, wie du hier entlangreitest! So was müsste verboten werden. Ich könnte doch glatt tot sein!“
„Ich dachte, du wärst längst schon wieder in Wapping, Alfie!“
Alle hatten sich bei dem Jungen bedankt und ihn für meine Rettung gelobt, doch nun ließ mir meine Neugier keine Ruhe mehr. Alfies unerwartetes Auftauchen kam mir ziemlich verdächtig vor.
Einen Augenblick lang begegneten sich unsere Blicke, doch dann schlug der Junge die Augen nieder.
„Ich hatte eine Panne. Kommt schließlich vor, oder?“, murmelte er ausweichend.
„Weder Öl noch Benzin?“ Andy hatte die beiden Kanister bemerkt. „Verflixt viel Pech auf einmal.“
„Komisch, dass dir schon bei Beginn der Fahrt das Benzin ausgeht, findest du nicht?“ Ich war Alfie bestimmt für seine Hilfe dankbar. Aber in den letzten Tagen waren so viele merkwürdige Dinge geschehen, dass ich das untrügliche Gefühl hatte, mich ein bisschen näher nach Alfies Kommen und Gehen erkundigen zu müssen. „Und warum fährst du mit deinem großen Wagen nicht auf der Hauptstraße? Warum ausgerechnet diesen schmalen Pfad entlang?“
„Ich wollte ein bisschen abkürzen. Ist doch erlaubt, oder?“ Er scharrte unbehaglich mit den Füßen.
„Aber dieser Weg führt nur zur Küste hinunter, sonst nirgendwohin“, warf Andy ein.
„Tatsächlich?“ Alfie hob die Kanister auf. „Dann hat mir irgendein Trottel den falschen Weg gezeigt.“ Er zuckte mit den Schultern und drückte sich an uns vorüber. „Na ja, jetzt muss ich sehen, dass ich weiterkomme.“ Er grinste mich an. „Servus, Kleine! Und vergiss nicht: Auch für Vierbeiner gibt es Geschwindigkeitsbegrenzung. Sonst könnte das mal übel ausgehen.“
Der Zwischenfall mit Alfie wollte mir den ganzen Tag nicht mehr aus dem Kopf gehen. Ich genoss zwar unser Picknick am Seeufer und ritt zum ersten Mal begeistert mit meinem Pony bis an die Fesseln durch den See, aber Alfies Verhalten gab mir immer neue Rätsel auf. Ich konnte es kaum erwarten, wieder nach Hause zu kommen und mit Pete die ganze Geschichte zu beraten.
Als unsere Gruppe am späten Nachmittag nach Duncreggan zurückkehrte, kam Pete uns schon entgegengelaufen. Er griff nach Kirstys Zügeln und zog uns
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