Rund wie die Erde
oder gleich im Glaskrug auf dem Tisch stand. Ein Schluck kann dem Kind nichts schaden. Daà ich von Anfang an keinen süÃen Wein mochte, gefiel der Sippe. Die wird's zu was bringen!
Das Glas ist leer, ich fülle es wieder, der dunkle Spiegel in der Karaffe ist gesunken. Ein biÃchen warmes Brot mit Salz wäre jetzt nicht verkehrt. Der Burgunder schmeckt ernst und gravitätisch, kommt aber in meinem Inneren mit einer gewissen Fröhlichkeit an. Und er holt eine Menge Rotweinerinnerungen zurück, Erinnerungen an seine einfachen, volks
tümlichen Brüder, im Schwäbischen, im Badischen, in Frankreich, Italien, Rumänien, Ungarn, ja, sogar in Thailand. In diesen Erinnerungen kommen keine sommeliers vor, sondern dicke Wirte mit Schweià auf den Backen und dreckigen Schürzen. Oder dünne, dunkle Zigeuner. Oder alte Frauen mit Steingutkrügen.
Wie schön, ein Wein, der mir sonst wahrscheinlich nicht begegnet wäre und der noch immer fremd schmeckt, erzählt mir Geschichten von seinen armen Verwandten!
Joachim Fest hat einmal zu mir gesagt, wer deutschen Rotwein trinke, könne nicht als kultiviert gelten. Ich habe nichts geantwortet. Für ein WeinselbstbewuÃtsein war ich damals noch zu jung, es ist wie bei der bildenden Kunst: Wenn man nichts mit den angepriesenen Dingen anfangen kann, fühlt man sich inferior und schuldig und plappert lieber jeden Unsinn nach, als sein Unverständnis fröhlich zuzugeben.
Mein Weinkennerfreund Dr. P. duldet milde lächelnd, wenn ich mich in die Weinniederungen begebe.
Ach, Südtirol, sagt er dann. Oder: Zu dem müssen Sie doch nicht auch noch Wasser trinken!
Er gehört zu den Menschen, die sehr exklusive Weinproben besuchen und in normalen Lokalen lieber Bier bestellen. MüÃte er zu sich nehmen, was mir das Leben leichter und schöner macht, würde er verzweifeln. Allerdings bleibt ihm nicht verborgen, wieviel Lug und Trug in der Welt der edlen Kreszenzen zu finden ist. Darüber kann er so spannend erzählen wie über Seeschlachten oder Schopenhauer. Manchmal veranstaltet er selber Weinproben, bei sich daheim. Ich gehe da sehr gern hin und bringe mir ein harmloses Fläschchen mit, damit ich den Kennern die Juwelen nicht versehentlich wegtrinke. Ich höre neugierig zu, wenn die Herren über
die Weine reden, über Lagen, Domänen und Jahrgänge, über Abgang und allerlei Noten, über schwarze und rote Früchte, Holz, Schokolade, über Leder und Pfirsiche, ein ganzes Universum olfaktorischer Behauptungen blüht auf und schwingt durch den Raum. Dies ist Weinpoesie, keine Folklore und keine Angeberei. Sie können das alle gut, die Freunde des Herrn Dr. P.
Es ist aber auch schön, allein mit einem Wein, meinethalben diesem sonderbar erwachsenen Burgunder zu sein und sich ihm ganz ohne Geschmacksassoziationen zu überlassen. Ich finde zwischendurch, daà er schmeckt, wie es riecht, wenn man einen Schrank aufmacht, in dem altes Silberzeug steht. Vielleicht ist es indessen ein biÃchen viel Wein, die Erinnerungen fliegen mir um die Ohren, und daà mir so oft Wein beim Heimtransport gestorben ist, fällt mir ausgerechnet jetzt ein. Dem fremden Burgunder gelingt es, alle wieder auferstehen zu lassen, den Roten aus Elba, den aus Cetate, den aus Lourmarin. Mit heimnehmen hatten sie sich nie lassen, kaum waren sie über die Grenze gelangt, hatten sie ihre Seele ausgehaucht.
Sogar an die WeiÃweine der Vergangenheit kann ich wieder ohne Traurigkeit denken.
A wine full of wines  â so hätte Signora F. gesagt, ihr Lob über ein Buch lautete nämlich so: A book full of books .
Die Karaffe ist fast leer. Zeit, sich zu verabschieden vom Burgunder, der mit mir etwas gemacht hat, was sonst nur Musik oder Bücher können. Er war wie jemand, den man nur einmal im Leben gesehen hat, aber nicht vergessen wird. Ein biÃchen anstrengend, dieser Fremde. Aber er hinterläÃt eine groÃe Freude aufs Alltägliche, und das ist nun wirklich eine Kunst.
Es bildet ein Talent sich in der Stille
Des Puddings. Das ist die Vanille.
Doch nur die echte tut sich wirklich lohnen â
Die königliche schwarze der Bourbonen.
Beerenlese
Jeden Tag kommen mehr Eimer ins Haus. Geriffelte, rostige Blecheimer, von kugeligen Frauen an der Tür abgegeben, sie sagen: Sechs Liter! oder: Heit sans achte! entweder bekümmert oder triumphierend. Ãber den Preis lassen sie nicht
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