Rune
sicher, ob das geklappt hätte.
Also gab es nur eine einzige Chance, nur einen Ausweg – ich mußte meinen Wagen in einen Torpedo verwandeln.
Ich untersuchte den Vergaser, bis ich den Benzinschlauch gefunden hatte. Mit dem Messer, das ich aus dem Haus mitgebracht hatte, machte ich einen kleinen Schnitt hinein. Ich hoffe, das reicht.
Und dann saß ich hinterm Steuer und fuhr. Mein Knie schmerzte nur wenig, zumindest im Vergleich zu meinem Handgelenk und meinem Kopf. Mein Handgelenk – ein grausiger Anblick. Es war zur Größe eines Baseballs angeschwollen, und wenn es noch weiter wuchs, würde es wohl wie ein Ballon aus Fleisch zerplatzen. Die Beule erinnerte mich an eine Python nach einem reichhaltigen Mahl, und es tat schon weh, sie nur anzusehen.
Also betrachtete ich die Stadt, die an meinen Fenstern vorbeischoß, und es wäre mir ein leichtes gewesen, fast alle Menschen, die ich sah, zu hassen – denn sie waren in Sicherheit und frei von Schmerzen, und in einigen Stunden würden sie sich in ein hübsches, warmes Bett legen mit keiner anderen Sorge als der, ob das Geld bis Weihnachten reichte. Und ich wollte so sehr einer von ihnen sein, daß ich hätte heulen können.
Es war nicht gerade einfach, so schnell zu fahren und nur mit einer Hand lenken zu können, aber es gelang mir einigermaßen, wenn ich auch Schwierigkeiten hatte, auf einer Spur zu bleiben. Doch das war vorbei, sobald ich in die Tenth Street fuhr, die in die Route 37 mündete. Ich bog zu scharf ab, fuhr über drei Spuren und stieß geradewegs auf einen Wagen, der sich von der anderen Richtung näherte. Ich riß das Lenkrad herum und versuchte, den Zusammenstoß zu verhindern, doch es war bereits zu spät. Die Reifen quietschten, und als nächstes zermalmten unsere Türen sich gegenseitig. Ich sah in ein Gesicht fünf Fuß von mir entfernt. Unsere Autos stießen zusammen, trennten sich für eine Sekunde, prallten dann wieder aufeinander und bedachten die Straße mit einem Sprühregen aus Glas und Metall.
Ich sah zwei Personen in dem anderen Auto, ein Paar im Alter meiner Eltern. Und nachdem sie mich lange genug angesehen hatten, löste der Typ die Bremse und hüpfte halb auf den Bürgersteig, wo der Wagen kreischend anhielt.
Ich stampfte aufs Gaspedal und schoß los, über eine gelbe Ampel, die gerade rot wurde. Die Leute waren nicht verletzt gewesen. Scheiß drauf, wenn sie keinen Spaß vertrugen.
Kalter Schweiß lief mir in die Augen, als ich die Stadt verließ. Vor mir erstreckte sich nichts als Land. Und etwas, das dem mittelalterlichen Island täuschend ähnlich sah.
44.
Sie arbeitete noch spät in dieser Nacht und war allein. Shelly Potter. Ich werde mir wohl ewig die Frage stellen, ob jemand da oben dafür gesorgt hatte. Denn wenn ich jetzt zurückblicke, begreife ich, daß die Tatsache, daß sie noch arbeitete, mir vermutlich das Leben gerettet hat …
Schließlich war der gefürchtete Tag doch noch gekommen. Die Schreibmaschine, die so lange schon für ihren Lebensunterhalt sorgte, war zu ihrem Feind geworden. Das Ding hockte da und summte fröhlich, verspottete ihre Unfähigkeit zur Konzentration.
Den ganzen Tag über schon war die Arbeit eine steinige Straße gewesen. Gestern hatte man nicht arbeiten müssen, es war schließlich Erntedank. Aber es war ein langer und bedrückender Feiertag gewesen. Sie hatte sich ein Hühnchen gebraten, eine Dose grüner Bohnen geöffnet und die Footballspiele im Fernsehen laufenlassen, um nicht so allein zu sein. Das war’s.
Wenn sie darüber nachdachte, ging die Arbeit schon seit letztem Mittwoch nicht mehr ganz reibungslos vonstatten. Zufälligerweise ging das genau nach Chris’ abruptem Abbruch ihrer letzten Unterhaltung los. Sie hatte nicht gewußt, ob sie sich von seiner Schroffheit verletzt oder von seiner Überzeugung, er würde sie vor etwas beschützen, was er entdeckt hatte, geschmeichelt fühlen sollte.
Egal.
Shelly schaltete die Schreibmaschine aus, baute zu beiden Seiten davon einen Ellbogen auf und legte den Kopf in die Hände. Das einzige Geräusch im Büro, das zu dieser Zeit viel größer und einsamer als tagsüber erschien, war der Polizeifunk. Das Ding wurde nie abgestellt, selbst wenn es nur für einen leeren Raum spielte, und sie hatte schon vor langer Zeit gelernt, dieses Geräusch in den Hintergrund zu verbannen.
Chris – war er selbstlos oder einfach nur ein dummer Macho?
Vor einigen Wochen war ihr das letzte Jahrbuch der High School in die Hände gefallen.
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