Runen
Guðjón. »Das liegt allein im Ermessen des Richters, sobald der Fall vor Gericht verhandelt wird.«
»Du hast gesagt, dass das sicher so sein wird«, zischte Ragna ihrem Vater zornig zu.
»Du kannst dich da ganz auf mich verlassen«, kam es von ihm als Antwort.
»Das hat sich von dem da aber gerade ganz anders angehört.«
»Ragna, ich kann dir versichern, deine Kooperation mit der Polizei wird strafmildernd angerechnet. Wir müssen darüber nicht jetzt reden.«
»Ach nicht, was? Ich soll dir das also einfach glauben«, fauchte Ragna.
»Natürlich. Das ist deine einzige Chance, Ragna.«
Ragna wich dem kritischen Blick ihres Vaters aus, starrte eine Weile vor sich hin und schaute dann auf Guðjón.
»Was willst du wissen?«, fragte sie mürrisch.
»Woher stammte die Idee, Darri zu entführen?«
|382| »Das war keine echte Entführung, weißt du, so wie in Kinofilmen und so«, antwortete Ragna. »Es war nur ein Joke. Da gings anfangs eigentlich nur um so ’ne Wette.«
»Eine Wette?«
»Ja. Sigga und ich haben mit dieser Ausländerin gequatscht …«
»Mit Sigga meinst du Sigríður Jóhanna Angantýsdóttir?«, unterbrach sie Guðjón.
»Ja, wen denn sonst. Also, diese Ausländerin da, die war auf Urlaub in Portugal und ist irgendwie in Trouble geraten wegen der Entführung dieses englischen Kindes, dieser Madeleine, und sie hat dann gesagt, dass es in Island unmöglich sei, jemanden zu entführen, weil hier so wenig Leute sind und so, und dass alles nach ein paar Stunden auffliegen würde. Dann haben wir halt so hin und her gestritten, weil ich gesagt habe, dass das kein Problem ist und nur eine Frage der Organisation und von Geld, aber sie hat sich nur über mich lustig gemacht. Ich hab mich tierisch drüber aufgeregt, und dann hat sie uns aufgefordert, dass wir das doch mal vorführen sollten, und dann hat sie uns Geld als Belohnung angeboten, wenn wir ein Kind entführen würden und eine ganze Woche wo verstecken.«
»Wie hoch war die ausgesetzte Summe?«
»Fünfzigtausend Euro.«
Der Hauptkommissar überschlug die Summe im Kopf.
»Und ihr seid auf dieses Angebot eingegangen?«
»Sigga wollte das Geld gerne haben, aber ich hab gesagt, dass ich das als Künstlerin betrachte. Sozusagen als einzigartige Gelegenheit für ein künstlerisches Event und so.«
»Kindesentführung als Kunst?«
|383| »In den Händen von ernsthaften Künstlern wird alles zur Kunst.«
Guðjón schwieg eine Weile und ließ den Blick über seine Notizen schweifen, bevor er das Verhör fortsetzte.
»Wieso habt ihr genau dieses Kind zur Entführung ausgesucht?«
»Die Ausländerin wusste von eben dem Jungen, dass er wochentags bei der Tagesmutter in Kópavogur war. Ich glaube, sie hat seine Eltern sogar auch bisschen gekannt. Sigga hat sich dann um den Leihwagen gekümmert und um das Sommerhaus und so, und dann hat sie den Jungen geholt, und dann sind wir mit dem Jeep in der Nacht rüber nach Úthlíð gefahren, und keinem ist was aufgefallen.«
»Hat euch Frau Schneider das Geld im Voraus gegeben?«
Ragna ging augenblicklich in die Luft: »Greta? Warum ziehst du Greta da mit rein?«
Der Hauptkommissar konnte seine Verwunderung nicht zurückhalten.
»Zu Greta sag ich kein einziges Wort«, fuhr Ragna fort und blitzte ihren Vater zornig an. »Sie hat mit dieser Sache nichts zu tun.«
»Und ich spreche ausschließlich von dieser ausländischen Frau, von der du selbst eben gesagt hast, dass sie dich und Sigríðurdazu angestiftet hat, Darri zu entführen.«
»Aber das war Ursula«, motzte Ragna.
Guðjón griff nach der Mappe auf Ernas Knien und legte sie geöffnet vor Ragna hin.
»Ist sie das etwa nicht?«
Ragna starrte wütend auf das Bild. Dann blätterte sie die Mappe durch, bis sie alle Bilder aus den Überwachungskameras gesehen hatte.
|384| »Warum haben uns die Bullen überallhin verfolgt?«, fragte sie heftig. »Das ist politische Verfolgung, nichts anderes.«
»Wir haben nicht speziell euch verfolgt«, antwortete Guðjón. »Die Kameras im Stadtzentrum sind Tag und Nacht in Betrieb.«
Er legte den Finger auf ein Bild, auf dem Greta Schneider sehr deutlich zu erkennen war.
»Wer ist das?«
»Sag ich nicht.«
»Ist das nicht die ausländische Frau, von der du sagst, dass sie dich und Sigríður zur Entführung angestiftet hat?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Da bist du dir ganz sicher?«
»Du Riesenrindvieh«, verkündete Ragna.
Sie blätterte rasch die Bilder in der Mappe durch und blieb beim
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