Runenschild
antwortete Gwinneth, und sowohl ihre Stimme als auch ihr Blick waren von einem bitteren Ernst erfüllt, der keinen Zweifel an ihren Worten
aufkommen ließ. Wieder lauter und nicht nur an Lancelot
allein gerichtet fuhr sie fort: »Hört auf zu kämpfen oder
ich stürze mich in die Tiefe.«
»Gwinneth!«, flehte Lancelot. »Sei vernünftig! Du … du
machst alles nur schlimmer!«
Gwinneth lachte hart. »Schlimmer?«, fragte sie. »Was
kann man denn hier noch schlimmer machen?« Sie schüttelte trotzig den Kopf. »Hört auf. Wenn es hier nur um
mein Leben geht, dann kann Artus es haben.« Und damit
drehte sie sich wieder um und stürzte sich in die Tiefe.
Lancelot reagierte so schnell wie nie zuvor im Leben.
Seine ausgestreckten Hände verfehlten Gwinneths Arm,
doch seine Finger krallten sich in den dünnen Stoff ihres
Gewandes. Die hauchfeine Seide riss mit einem hässlichen
Laut und Lancelots eisengepanzerte Finger hinterließen
tiefe, blutige Kratzer auf Gwinneths Haut, und doch reichte es, um ihren Sturz eine Winzigkeit zu verlangsamen;
gerade genug, dass er mit der anderen Hand zugreifen und
ihr Handgelenk packen konnte.
Dennoch war er für einen Moment sicher, dass er es
nicht schaffen würde. Gwinneth schrie vor Schmerz auf
und Lancelot wurde nach vorne und mit solcher Wucht
gegen die Mauerkante geschleudert, dass es ihm die Luft
aus den Lungen trieb. Für einen noch kürzeren, aber unbeschreiblich schrecklichen Moment spürte er, wie er weiter
nach vorne kippte und nun seinerseits den Halt zu verlieren drohte, aber das war ihm gleich. Vielleicht war es sogar am besten so. Vielleicht wollte es das Schicksal, dass
Gwinneth ihn mit sich in die Tiefe riss, und wenn sie es
tat, dann würde er sich nicht dagegen wehren.
Vielleicht war das Schicksal dieser Meinung, doch ein
anderer nicht. Gerade als Lancelot spürte, dass er endgültig den Halt zu verlieren drohte, packte ihn jemand bei den
Schultern, riss ihn mit erstaunlicher Kraft zurück und Lancelot griff instinktiv nun noch einmal mit der anderen
Hand zu und bekam Gwinneths rechten, wild herumfuhrwerkenden Arm zu fassen. Ohne auf ihre verzweifelte
Gegenwehr zu achten, warf er sich zurück und zerrte sie
gleichzeitig mit aller Kraft zu sich herauf und zu Thomas,
denn erst jetzt erkannte er, dass es der junge Ritter war,
der sie unter Einsatz seines Lebens zu retten bemühte.
Gwinneth schrie und versuchte sich loszureißen, doch er
strengte noch einmal all seine Muskeln an, warf sich zurück und zerrte sie zu sich herauf. Er stürzte, wurde halbwegs unter Gwinneth begraben und kam nur umständlich
und vor Anstrengung keuchend wieder auf Hände und
Knie hoch. Gwinneth schlug nach ihm.
Lancelot nahm die ersten zwei oder drei Hiebe reglos
hin, bis ihm klar wurde, dass sie sich die Hände am harten
Eisen seiner Rüstung aufriss, rasch ergriff er ihre Handgelenke und hielt sie fest.
»Bist du verrückt geworden?«, keuchte er. »Gwinneth!
Hör auf!«
Aber sie hörte nicht auf. Ganz im Gegenteil versuchte
sie mit immer größerer Verzweiflung sich loszureißen,
schrie und wand sich unter seiner Umklammerung und trat
nach ihm. Und schließlich löste Lancelot die Rechte von
ihrem Arm, holte aus und versetzte ihr eine schallende
Ohrfeige.
Er hatte nicht annähernd mit ganzer Kraft zugeschlagen,
denn immerhin steckte seine Hand in einem eisernen
Handschuh, sodass sie der Hieb schwer verletzt, wenn
nicht gar getötet, hätte, und trotzdem war die Wirkung
verheerend. Gwinneth sackte benommen zurück und erschlaffte in seinen Armen und der Abdruck seiner Hand
erschien wie mit roter Farbe gemalt auf ihrer bleichen
Wange. Ihre Lippe platzte auf und Blut rann über ihr Kinn.
»Jetzt beruhige dich«, sagte Lancelot. »Nie mehr! Verstehst du mich? Tu so etwas niemals wieder!«
Gwinneth reagierte nicht. Sie sah ihn an, aber ihr Blick
schien geradewegs durch ihn hindurchzugehen und dann,
ganz langsam, hob sie den Arm, wischte sich das Blut vom
Kinn und blickte anschließend fast verwirrt auf den roten
Fleck auf ihrem Handrücken hinab.
Und erst in diesem Moment begriff Lancelot, was er getan hatte.
Das heißt – nein. Er verstand es, aber er begriff es nicht.
Er hatte Gwinneth geschlagen. Er hatte die Hand gegen sie
erhoben, gegen den einzigen Menschen auf der Welt, der
ihm wirklich etwas bedeutete und für den er ohne zu zögern sofort sein Leben geopfert oder alle Qualen der Hölle
auf sich genommen hätte.
Umständlich stand er
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