Runenschild
auf, machte einen fast taumelnden
Schritt zurück und wollte etwas sagen, aber seine Stimme
verwehrte ihm den Dienst. Er konnte sich nicht rühren.
Ein Gefühl vollkommener Fassungslosigkeit und fast
ebenso großen Entsetzens begann sich in ihm breit zu machen, außerdem eine Lähmung, die nicht nur seinen Körper, sondern auch seine Gedanken befiel. Er konnte nichts
sagen. Nicht denken. Er wollte Gwinneth aufhelfen, sie in
die Arme schließen, vor ihr auf die Knie fallen und sie um
Verzeihung bitten, aber er war nicht in der Lage, irgendetwas davon zu tun. Er stand einfach nur da und sah reglos und ohne zu atmen, vielleicht sogar ohne dass sein
Herz schlug, zu, wie Gwinneth langsam aufstand, ihm
noch einen letzten, traurigen Blick zuwarf und sich dann
umdrehte um zu gehen. Rings um sie herum hielt der
Kampf immer noch inne, als hätte die Zeit selbst den
Atem angehalten, und Freund und Feind wichen respektvoll vor ihr zurück.
Was hatte er getan? Was um alles in der Welt hatte er
getan?
»Lancelot?«
Seans Stimme riss ihn nicht vollkommen aus seiner Erstarrung, aber zumindest ein Stück weit in die Wirklichkeit zurück. Lancelot holte mit einem keuchenden Atemzug Luft, der sich in seinen eigenen Ohren fast wie ein
gequälter Schrei anhörte, drehte sich unsicher um und sah
den Iren an.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Sean. Er hatte sich mittlerweile wieder erhoben und stand in halb verkrümmter,
gleichzeitig aber irgendwie sprungbereit wirkender Haltung da, die linke Hand auf den tiefen und immer noch
heftig blutenden Schnitt in seiner Schulter gepresst.
Alles in Ordnung? Fast hätte Lancelot schrill aufgelacht.
Für einen Moment war er dankbar für das geschlossene
Visier vor seinem Gesicht, denn so konnte Sean den Ausdruck vollkommener Qual nicht erkennen, der sich in seine Züge gegraben hatte. Ohne zu antworten oder sonst
irgendwie auf Seans Frage zu reagieren, drehte er sich um
und wandte sich an Thomas. Der junge Tafelritter stand
nur wenige Schritte neben ihm. Die Zeit, die verstrichen
war, seit er Lancelot gepackt und zurückgerissen hatte,
hätte Thomas mehr als gereicht, um zu fliehen und sein
Leben zu retten, aber er stand einfach da und auch auf
seinem Gesicht lag ein Ausdruck von Fassungslosigkeit
und Entsetzen, der Lancelot erneut einen kalten Schauer
über den Rücken laufen ließ.
»Ich danke dir«, sagte er. »Du hast Gwinneth das Leben
gerettet. Und mir wohl auch.«
Thomas reagierte nicht. Lancelot wartete einen Moment
vergeblich darauf, dass er irgendetwas sagte oder sich
auch nur bewegte, dann bückte er sich nach seinem
Schwert, schob es mit einer demonstrativen Bewegung in
den Gürtel, löste den Runenschild vom linken Arm und
nahm als Letztes den Helm ab. Thomas sah ihm mit versteinertem Gesicht dabei zu, aber Sean riss ungläubig die
Augen auf. Lancelot gab ihm jedoch keine Gelegenheit,
irgendetwas zu sagen, sondern trat an den inneren Rand
des Wehrgangs, hob die Arme, um aller Aufmerksamkeit
auf sich zu ziehen – als ob er sie nicht sowieso schon gehabt hätte! –, und rief mit fester, weit schallender Stimme:
»Der Kampf ist vorüber! Legt die Waffen nieder!«
Sean keuchte. »Lancelot! Hast du den Verstand verloren?«
Lancelot ignorierte ihn weiter, drehte sich langsam um
und wandte sich erneut an Thomas. »Du hast mich gehört,
mein Freund. Es ist vorbei.«
Hinter ihm japste Sean hörbar nach Luft und auch an anderen Stellen der Festungsmauer wurden ungläubige,
überraschte Rufe laut. Thomas legte den Kopf auf die Seite und sah ihn ebenso verwirrt wie zweifelnd an. »Soll das
heißen, dass …«
»Lady Gwinneth hat Recht«, fiel ihm Lancelot ins Wort.
»Es ist schon viel zu viel Blut geflossen. Nehmt Eure
Männer und geht in Frieden. Heute soll niemand mehr
sterben.«
»Was genau …?«, begann Thomas, wurde aber erneut
von Lancelot unterbrochen.
»Geht zu Artus und sagt ihm Folgendes: Wir akzeptieren
all seine Bedingungen. Tintagel gehört ihm. Doch ich bitte
ihn darum, den Menschen in dieser Burg freies Geleit zu
gewähren. Das Tor wird hinter dem letzten nicht wieder
geschlossen werden und Gwinneth und ich erwarten ihn
hier.«
»Das werde ich tun«, versprach Thomas. Er machte eine
Bewegung, wie um sich nach dem Schwert zu bücken, das
Lancelot ihm aus der Hand geschlagen hatte, brachte sie
aber nicht zu Ende, sondern drehte sich plötzlich um und
trat an die Mauer. Ohne ein weiteres Wort stieg er auf eine
der daran gelehnten
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