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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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ehe er ganz auf dem harten Stein des Wehrganges aufgeschlagen war, berührte die Spitze der Elbenklinge zum
zweiten Mal seine Kehle und Lancelot spannte die Muskeln.
»Du hast es nicht anders gewollt, Dummkopf«, sagte er.
»NEIN!«
Lancelot hob überrascht den Blick, als der Schrei unmittelbar hinter ihm erscholl – und dann stieß er ebenfalls
einen halblauten schrillen Schrei aus und prallte entsetzt
zurück.
Unmittelbar hinter ihm, inmitten des tobenden Kampfes,
stand Gwinneth. Ihr Gesicht war leichenblass und ihre
Augen schwarz vor Entsetzen und so weit aufgerissen,
dass sie schier aus den Höhlen zu quellen schienen.
Ihr Kleid hing in Fetzen und über der rechten Schulter
hatte sich der dünne Stoff dunkel und rot gefärbt und auch
ihr Gesicht war mit Blut besudelt, das allerdings nicht das
ihre zu sein schien. Sie stand in einer fast grotesken Haltung wie mitten in der Bewegung erstarrt da und hatte die
Hand halb erhoben, als wolle sie nach ihm greifen und ihn
zurückreißen. Sie zitterte am ganzen Leib.
»Gwinneth!«, keuchte Lancelot. »Bist … bist du verrückt geworden? Was tust du hier?! «
Gwinneth hörte seine Worte nicht. Ihr Blick war weiter
starr auf das Schwert in seiner Hand gerichtet und auf das
leichenblasse Gesicht Thomas’, der mit halb geschlossenen Augen dalag und auf den Tod wartete.
»Nein«, stammelte sie noch einmal. »Genug! Hört auf!«
Statt die begonnene Bewegung zu Ende zu führen und
den jungen Ritter zu töten, riss Lancelot das Schwert zurück und fuhr in einer abrupten Bewegung vollends zu
Gwinneth herum. Ein Mann im Blau und Weiß Camelots
erschien hinter ihr und schwang sein Schwert; Lancelot
stieß die Runenklinge schräg aufwärts an Gwinneth vorbei, sodass er blutüberströmt zurücktaumelte und zusammenbrach, und griff mit der anderen Hand nach Gwinneths Arm. »Du musst weg hier!«, keuchte er. »Du wirst
sterben!«
Gwinneth riss sich los. Ihr Kopf flog mit einem Ruck
herum und das Entsetzen in ihren Augen nahm eine andere, ungekannte Dimension an, als sie in sein Gesicht blickte. »Hört auf damit«, stammelte sie. Und dann noch einmal und so laut, dass ihre Stimmbänder schier zu zerreißen
drohten: »Hört auf damit!«
Und noch bevor der völlig fassungslose Lancelot auch
nur wirklich begriff, was sie tat, geschweige denn sie daran hindern konnte, fuhr sie herum, stürmte mitten zwischen den kämpfenden Männern hindurch und war mit
einem einzigen Satz auf der Mauerkrone.
»Aufhören!«, schrie sie. »Es ist genug! Hört auf damit!«
Lancelot wollte ihr nachstürmen, aber er war wie gelähmt vor Entsetzen. Hilflos. Er war sicher, dass Gwinneth
im nächsten Moment sterben würde, niedergestreckt von
einem Angreifer, getroffen von einem fehlgeleiteten Pfeil
oder Speer, oder einfach weil sie auf dem schmalen Mauerstück den Halt verlor und in die Tiefe stürzte.
Aber das Wunder geschah. Niemand griff Gwinneth an.
Und das war noch nicht alles. Das zweite, ungleich größere Wunder kam Lancelot erst nach einigen Augenblicken
zu Bewusstsein.
Rings um sie herum erlosch der Kampf. Männer, die gerade noch verbissen miteinander gefochten und versucht
hatten ihren Gegner zu töten, ließen plötzlich ihre Waffen
sinken, wandten sich um und starrten Gwinneth an, und
die Bewegung setzte sich fort, lautlos und schnell und unaufhaltsam wie die Wellen, die ein ins Wasser geworfener
Stein schlug. Überall auf dem Wehrgang erlosch das Klirren der Waffen, lösten sich Krieger von ihren Gegnern.
»Hört auf!«, schrie Gwinneth noch einmal. »Es ist genug
Blut geflossen! Niemand soll mehr sterben!«
»Mylady, seid Ihr von Sinnen?«, entfuhr es Sean. »Wollt
Ihr Euch umbringen?«
Gwinneth reagierte auf seine Worte so wenig wie auf
Lancelots vorhin. Ganz im Gegenteil, sie trat noch einen
Schritt näher an die Mauerkante heran, hob die Arme und
rief so laut sie konnte: »Artus! Lass es enden! Ich flehe
dich an, mach Schluss mit diesem sinnlosen Morden!«
Endlich erwachte Lancelot aus seiner Erstarrung. Rasch
schob er das Schwert in den Gürtel, lief zu Gwinneth hin
und versuchte sie am Arm zu ergreifen, aber sie riss sich
auch diesmal los und ihre Bewegung war so ungestüm,
dass nur eine Kleinigkeit gefehlt hätte, und sie hätte das
Gleichgewicht verloren und wäre über die Mauer gestürzt.
Hastig trat Lancelot einen halben Schritt zurück. »Gwinneth, bitte!«, flehte er. »Komm herunter! Willst du dich
umbringen?«
»Wenn es sein muss, ja«,

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