Runenschild
Irgendwie hatten es Seans
Männer geschafft, die erste Welle zurückzuschlagen, doch
über der Mauerkrone erschienen schon wieder weitere
Helme und Speerspitzen und auch die Schläge gegen das
Tor waren lauter und härter geworden. Lancelot sprang
einem Krieger bei, der sich tapfer, aber vergeblich gegen
einen von Artus’ Männern wehrte, beendete das Duell mit
einem schnellen Streich der Elbenklinge und versetzte der
Leiter, über die der Angreifer hereingekommen war, eine
Tritt, der sie zur Seite kippen ließ. Er konnte nicht sehen,
was weiter geschah, er hörte nur ein dumpfes Knirschen,
gefolgt von einem sonderbar weichen Aufprall und einem
ganzen Chor erschrockener, dann entsetzter Schreie.
»Die Leitern!«, schrie Sean. »Ihr müsst die Leitern zurückstoßen!«
Zuerst glaubte Lancelot, er hätte den Iren auf diese Idee
gebracht, dann aber sah er, wie sich nicht nur Sean, sondern zahlreiche andere Männer duckten und lange, an den
Enden gespaltene Stangen aufhoben, die bisher unbeachtet
vor der Wand gelegen hatten. Jeweils zwei oder auch drei
von ihnen ergriffen eine der Stangen, rammten sie gegen
die Sprossen und strengten all ihre Kräfte an, um die Leitern von der Mauer weg und ins Leere zu schieben. Nicht
alle ihre Anstrengungen waren von Erfolg gekrönt; aber
mindestens vier oder fünf Leitern kippten langsam nach
hinten und fielen dann um, wobei sie die unglückseligen
Männer, die sich auf ihnen befanden, mit in die Tiefe rissen.
»Weiter so!«, schrie Sean. »Jagt sie zurück! Wir schaffen es!«
Natürlich konnten sie das nicht. Zwei oder drei weitere
Leitern fielen, aber an mindestens ebenso vielen Stellen
gelang es den Angreifern, die Mauer heraufzukommen
und die Verteidiger weit genug zurückzutreiben, sodass
hinter ihnen weitere Truppen heranstürmen konnten.
Sean warf sich mit einem gellenden Kampfgeheul in die
Schlacht und Lancelot allein säuberte die Wehrmauer an
drei Stellen von jedem Angreifer.
Aber er konnte nicht überall sein, und auch wenn er
längst wieder in einen Blutrausch verfallen war, der ihn
weder Angst noch Schmerz kennen ließ, und er die düstere
Stimme des Elbenschwertes bei jedem Streich, der ein
Leben beendete, bei jedem Stich, der Blut fließen ließ, tief
in sich triumphierend aufschreien hörte, und ihn das Runenschwert mit schier unerschöpflicher Kraft zu erfüllen
schien, so waren es doch einfach mehr Angreifer, als er
besiegen konnte. Mann auf Mann fiel unter seinen Hieben,
und obwohl sich der Wehrgang längst in einen tobenden
Hexenkessel verwandelt hatte, schienen die Angreifer
doch zu wissen, wer er war und vor allem was . Bald stellte
sich ihm kaum noch einer der Männer zum Kampf, sondern suchte sein Heil in der Flucht, sobald er auch nur vor
ihm auftauchte.
Dennoch war es vergeblich. Hatten Artus’ Krieger die
Mauer am Anfang nur an drei oder vier Stellen überwunden, so lehnte mittlerweile hinter jeder Lücke in den Zinnen eine Leiter, und Mann auf Mann stürmte hinauf, die
meisten nur, um auf der Stelle zu sterben, aber scheinbar
unerschöpflich an Zahl. Sie würden verlieren, begriff Lancelot. Er hatte gewusst, dass sie diesen Kampf nicht gewinnen konnten, auch nicht überleben, und doch erschütterte ihn die Schnelligkeit, mit der er zu Ende ging. Auch
wenn es ihm wie eine Ewigkeit vorkam, so konnten doch
seit dem Moment, in dem die erste Leiter über der Mauerkrone erschienen war, nur wenige Minuten verstrichen
sein und dennoch befanden sich auf dem Wehrgang mittlerweile mehr Tote und Verwundete als Kämpfende, und
für jeden Angreifer, den sie zurückschlugen, schienen drei
neue über die Mauer zu stürmen. Es war vorbei. Noch
wenige Minuten und der Kampf war zu Ende.
Und dann stand er Thomas gegenüber.
Der junge Ritter war der Letzte gewesen, der über die
Mauer gestiegen war, bevor Sean die Leiter hinter ihm
umstieß, und er nutzte den Moment, den der Ire abgelenkt
war, um ihn wütend zu attackieren. Sein Schwerthieb verfehlte Seans Kehle, hinterließ aber einen langen Schnitt in
der schwarzen Lederrüstung des Iren, aus der ein erschreckend intensiver Blutstrom quoll, und schleuderte
Sean zurück. Thomas, der aus einem Grund, den Lancelot
nicht verstand, ohne Helm kämpfte, sodass er ihn auf der
Stelle erkannte, schrie triumphierend auf und setzte seinem für den Moment wehrlosen Opfer nach, und zweifellos hätte sein nächster Hieb Sean getötet, doch als er das
Schwert hob, war Lancelot zur
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