Runenschild
Leitern und kletterte in die Tiefe. Und
überall rings um ihn herum taten es ihm diejenigen Angreifer, die die Mauern gestürmt hatten und noch am Leben und nicht zu schwer verletzt dafür waren, gleich.
»Lancelot, was … was soll das?«, fragte Sean. Am liebsten hätte Lancelot gar nicht geantwortet, aber schließlich
drehte er sich müde zu dem Iren um und sah ihn an. Seans
Gesicht hatte jede Farbe verloren und der Ausdruck in
seinen Augen war der blanken Entsetzens. »Hast du den
Verstand verloren?«
»Lass gut sein, mein Freund«, sagte Lancelot leise. »Es
ist vorbei.«
»Vorbei?«, wiederholte Sean. Er schrie fast. »Was soll
das heißen: Vorbei? Es ist nicht vorbei, solange ich noch
ein Schwert halten kann.«
»Wir haben keine Chance«, berichtigte ihn Lancelot. Es
fiel ihm schwer, sich auf die Worte des Iren zu konzentrieren, und noch schwerer, zu antworten. »Es ist schon viel
zu viel Blut geflossen.«
»Ja, und zwar das meine und das meiner Brüder!«, erwiderte Sean heftig. »Du willst aufgeben? Soll das heißen,
dass alles umsonst gewesen ist? Dass meine Brüder und
mein Onkel für nichts und wieder nichts gestorben sind?«
»Manchmal muss man wissen, wann es genug ist«, antwortete Lancelot. Er schüttelte müde den Kopf. »Gwinneth hat Recht. Sie hatte von Anfang an Recht, Sean. Vielleicht ist Freiheit das höchste Gut, das ein Mensch besitzen kann, aber vielleicht ist es auch das Einzige, das man
nicht mit dem Blut anderer erkaufen darf.«
»Was für ein Unsinn!«, ereiferte sich Sean. Er machte
einen Schritt auf Lancelot zu. So erregt, wie er war, hätte
sich Lancelot nicht gewundert, hätte er sich im nächsten
Augenblick auf ihn gestürzt, aber dann blieb er wieder
stehen und ballte nur in hilflosem Zorn die Fäuste.
»Ich hatte Recht«, sagte er bitter. »Tief in mir habe ich
die ganze Zeit gespürt, dass du nichts anderes als ein Kind
bist. Ein kleiner Junge, der den Erwachsenen spielt und es
mit der Angst zu tun bekommt, wenn es ernst wird. Ich
hoffe, du bist zufrieden mit dem, was du angerichtet hast.«
Er machte eine zornige Geste in die Runde. »Sieh dich
um. Die Hälfte unserer Männer ist tot und fast alle anderen
verletzt, und wie viele von Artus’ Heer gefallen sind, wage ich nicht einmal zu schätzen. Hältst du das hier für ein
Spiel?«
Lancelot sah ihn nur traurig an. Er verzichtete darauf, zu
antworten, denn er wusste, dass Sean ihn nicht verstanden
hätte. Und wie konnte er auch? Statt noch etwas zu dem
Iren zu sagen, wandte er sich wieder um und rief noch
einmal und mit lauter Stimme: »Ihr habt mich gehört! Verlasst die Festung! Niemand wird euch etwas tun!«
»Und du, kleiner Held?«, fragte Sean böse. »Was hast du
vor? Suchst du dir einen neuen Spielplatz?«
Die Beleidigung prallte an Lancelot ab ohne ihn zu berühren, aber was unerwartet heftig schmerzte, das war die
Bitterkeit in Seans Worten und das Wissen, wie unendlich
tief er den Iren enttäuscht hatte. Wahrscheinlich war es das
letzte Mal, dass sie sich sahen, und Lancelot begriff mit
tiefem Bedauern, dass ihm nicht einmal mehr ein Abschied blieb, kein Wort des Dankes. Er konnte nur hoffen,
dass Artus seiner Bitte entsprach und Sean und alle anderen unbehelligt ziehen ließ, und dass der Ire vielleicht irgendeines Tages einmal verstehen würde, warum er so
entschieden hatte und nicht anders. Statt noch irgendetwas
zu sagen, drehte er sich langsam um und ging zur Treppe.
Die Frist, die Lancelot von Artus erbeten hatte, war fast
verstrichen, als er Gwinneths Kemenate betrat. Er war
unmittelbar von der Wehrmauer aus ins Haus gegangen,
ohne noch einen Blick nach rechts oder links zu werfen,
irgendeine der Fragen zu beantworten, die ihm gestellt
wurden, auf irgendeinen der verwirrten oder erschrockenen Blicke zu reagieren, die ihn trafen, sich um einen der
Verwundeten zu kümmern, die in erschreckend großer
Zahl auf dem Hof lagen und um Hilfe wimmerten. Dann
aber, unmittelbar vor der Tür zu Gwinneths Gemach, war
er stehen geblieben. Ihm hatte die Kraft gefehlt, die Tür zu
öffnen, und erst recht die, einzutreten und Gwinneth in die
Augen zu sehen.
So war er wieder zurückgegangen, bis er eines der
schmalen Fenster fand, die auf den Hof hinausführten, und
hatte sich davon überzeugt, dass sein Befehl auch tatsächlich befolgt wurde. Nicht einmal dessen war er sich sicher
gewesen. So aufgebracht und verwirrt, wie Sean war, hätte
es ihn kaum gewundert, hätte der Ire
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