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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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zugewiesen hatte, war er den größten Teil des
Vormittages an Gwinneths Seite geritten, und schließlich
hatte er ihr beharrliches Schweigen und die gleichermaßen
vorwurfsvollen wie traurigen Blicke, mit denen sie ihn ab
und zu maß, nicht mehr ausgehalten und sich zu Sean ganz
nach vorn an die Spitze der kleinen Kolonne gesellt.
    »Fliehen?« Sean sah ihn an, als verstünde er nicht ganz,
wovon er sprach.
»Wir meiden jede menschliche Ansiedlung, halten uns
von Straßen und Wegen fern und bemühen uns, möglichst
wenig Spuren zu hinterlassen«, erwiderte Dulac ärgerlich.
»Meinst du etwa, das merke ich nicht?«
»Du bist ein guter Beobachter.« Sean zog hastig den
Kopf ein, um nicht von einem tief hängenden Ast im Gesicht getroffen zu werden. »Aber ich kann dich beruhigen:
Soweit ich das feststellen kann, ist uns zumindest im Moment niemand auf den Fersen.«
»Soweit du das feststellen kannst«, wiederholte Dulac.
»Genau deshalb verhalten wir uns ja auch so, als hätten Artus’ Ritter unsere Spur aufgenommen«, antwortete
Sean, schüttelte aber dennoch den Kopf. »Mach dir keine
Sorgen. Wir sind bald in Sicherheit. Noch vor Einbruch
der Dunkelheit, wahrscheinlich aber schon früher.«
»Und dann?«, fragte Dulac, der sich noch immer nicht
damit anfreunden konnte, dass der Ire zumindest Gwinneths Identität enttarnt hatte.
Sean hob die Schultern und sah sich zum wiederholten
Male an diesem Tag aufmerksam um, doch der Wald lag
weiter still und weiß und wie ausgestorben da. Selbst die
wenigen Tiere, die der früh hereingebrochene, dafür aber
umso härtere Winter nicht in ihre Höhlen gejagt oder in
wärmere Landstriche vertrieben hatte, hatten es offensichtlich vorgezogen, aus der unmittelbaren Nähe der Störenfriede zu verschwinden, die in ihr Reich aus Halbschatten
und weißer Kälte eindrangen. Wären die Spuren nicht gewesen, die die Pferde hinterließen, so hätte man meinen
können, in einem Teil der Welt zu sein, den noch niemals
ein Mensch betreten hatte. Aber gerade diese Spuren waren es, die Dulac Sorgen bereiteten.
Sein entsprechender Blick entging Sean keineswegs,
denn obwohl Dulac nichts sagte, schüttelte er den Kopf
und meinte: »Keine Sorge. Es wird bald wieder schneien.
In längstens einer Stunde sind unsere Spuren nicht mehr
zu sehen.« Er schwieg eine Weile, und als er weitersprach,
klang seine Stimme anders, ohne dass Dulac genau sagen
konnte wie. »Da ist etwas, das ich nicht verstehe, Küchenjunge .«
»Ja?«
»Nachdem alles vorbei war, haben wir den Wald abgesucht, nur um keine weiteren Überraschungen zu erleben«,
sagte Sean. »Wir haben drei erschlagene Pikten gefunden
– und auch die Spuren der anderen. Aber weißt du, was
seltsam ist?«
»Nein«, antwortete Dulac. »Woher auch?« Sean antwortete nicht gleich, doch als er schließlich weitersprach,
klang er fast enttäuscht: »Es gab keine Spuren, die aus
dem Wald herausführten. Ich bin ein ziemlich guter Spurenleser, Dulac. Jedenfalls habe ich das bisher immer gedacht. Aber was ich dort gesehen habe, kann ich mir nicht
erklären. Es sah so aus, als wären sie einfach aus dem
Nichts erschienen.«
»Wahrscheinlich hat der Schneesturm ihre Spuren einfach verweht«, antwortete Dulac. Am liebsten hätte er sich
auf die Zunge gebissen. Seine Antwort war zu schnell gekommen, um nicht nach irgendetwas anderem als einer
leichtfertigen Ausrede zu klingen.
Sean nickte. »Ja, genau das habe ich im ersten Moment
auch geglaubt. Doch wenn es so wäre, dann hätte er genauso die Spuren verwehen müssen, die ich gesehen habe,
meinst du nicht? Aber sie waren da. Die Spuren eines
Dutzends Männer, die plötzlich einfach anfingen, ohne
irgendwoher gekommen zu sein.« Er schüttelte heftig den
Kopf und deutete ein übertriebenes Schaudern an. »Würde
ich an Zauberei glauben …«
»Was willst du damit sagen?«, fragte Dulac.
»Nichts«, antwortete Sean. »Es ist nur etwas, das ich
nicht verstehe. Und wenn ich etwas nicht verstehe, dann
macht mich das nervös.«
Dulac war klug genug, nichts mehr darauf zu antworten.
Er hatte Sean jetzt schon ein paarmal unterschätzt und er
tat gut daran, das nicht zu einer Angewohnheit werden zu
lassen. Der Mann machte einen grobschlächtigen, einfachen Eindruck und in gewisser Weise war er das sicher
auch. Aber das änderte nichts daran, dass er trotzdem ein
sehr kluger Mann war und ein offensichtlich sehr aufmerksamer Beobachter, dem nichts entging, und der auch

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