Runenschild
einen weiteren und größeren Schluck zu sich.
Das Bier war stark und bitter, und er spürte schon nach
Augenblicken, wie ihm der Alkohol leicht zu Kopf zu
steigen begann, sodass er sich innerlich zur Vorsicht gemahnte. Da er in einem Wirtshaus aufgewachsen und Bier
nach klarem Wasser das billigste Getränk war – und Tander der größte Geizhals, den es jemals gegeben hatte –,
hatte er sich von Kindesbeinen an an seinen Geschmack
und seine Wirkung gewöhnt; in seiner Zeit als Küchenjunge und Mundschenk auf Camelot hatte er manchen gestandenen Ritter damit verblüfft, welche Mengen er davon
schadlos in sich hineinschütten konnte. Aber sie hatten
entbehrungsvolle Wochen hinter sich und er selbst hatte
nur wie durch ein Wunder seine schweren Verbrennungen
überlebt. Seine Wunden mochten verheilt sein, doch er
war noch lange nicht wieder bei Kräften. Und so angenehm die Überraschung dieses Morgens auch sein mochte:
Dulac hatte gelernt immer mit dem Schlimmsten zu rechnen. Er nahm sich vor, allerhöchstens diesen einen Becher
zu trinken und den Wirt dann um einen Krug Wasser zu
bitten.
»Greif nur tüchtig zu«, forderte ihn Sean auf. »Du musst
hungrig wie ein Wolf sein.« Tatsächlich griff Dulac nach
einem Stück Brot, biss jedoch nicht davon ab, sondern sah
zuerst Sean, dann den pausbäckigen Wirt und dann wieder
den Iren fragend an. »Haben wir denn Zeit?«
»Wir haben eine Menge zu besprechen«, antwortete
Sean mit einem Schulterzucken. »Aber wir haben es nicht
eilig.«
»Bestimmt?«, vergewisserte sich Dulac. »Ich meine:
Sind wir hier …« Er sprach nicht weiter, schon weil er den
Wirt nicht in Verlegenheit bringen und Sean und seine
Brüder nicht unnötig beunruhigen wollte, doch der Besitzer der Herberge hatte wohl verstanden, was er meinte.
»Ihr seid hier in Sicherheit, junger Herr«, versicherte er
ihm. »Bei Freunden.«
Wie gern hätte Dulac das geglaubt – und was die Freunde anging, so zweifelte er mittlerweile nicht mehr daran.
Aber Sicherheit? So wie es im Augenblick aussah, gab
es für Gwinneth und ihn vielleicht auf dieser ganzen Welt
keine Sicherheit mehr.
Wieder meldete sich sein Magen mit einem lautstarken
Knurren und Dulac kapitulierte endgültig und tat für die
nächsten zehn Minuten nichts anderes, als sich ganz aufs
Essen zu konzentrieren. Er aß noch immer schnell, schlang
jetzt aber nicht mehr und zwang sich sogar dazu, jeden
Bissen sorgsam zu kauen, bevor er ihn hinunterschluckte.
Es war das erste richtige Essen , das er seit Wochen bekam,
und er hatte schon fast vergessen, welch unglaublicher
Luxus solch eine Mahlzeit mitten im Winter war.
Als der Teller, den Sean ihm hingeschoben hatte,
schließlich leer war, spürte er noch immer ein bohrendes
Hungergefühl in sich, doch als Sean mit einem fragenden
Blick auf eine weitere Portion deutete, schüttelte er nur
den Kopf. Sein Hunger schien durch das Essen eher angefacht als gestillt worden zu sein, aber in seinen Eingeweiden begann es bereits zu rumoren und er tat sich bestimmt
keinen Gefallen damit, wenn er es jetzt übertrieb und die
kostbare Nahrung dann nicht bei sich behalten konnte.
Von der damit verbundenen Peinlichkeit gar nicht zu reden.
Der Wirt räumte eilfertig den leer gegessenen Teller weg
und wollte seinen Becher auffüllen, aber Dulac schüttelte
rasch den Kopf und bat um einen Krug Wasser.
»Selbstverständlich, junger Herr«, sagte der Wirt hastig.
»Ich schicke die Magd gleich danach. Benötigt Ihr sonst
noch etwas?«
Die Diensteifrigkeit des Schankwirtes verwirrte Dulac
immer mehr. Er schüttelte nur den Kopf und wartete darauf, dass der Mann ging, aber er trat nur einen Schritt zurück, sah Dulac an, als erwarte er etwas ganz Bestimmtes
von ihm, und fragte schließlich: »Ich nehme an, Lady
Gwinneth schläft noch?«
» Lady …?« Dulac erschrak so sehr, dass er es nicht mehr
ganz verbergen konnte. Sein Kopf ruckte herum und er
starrte Sean an, doch der Ire machte nur eine resignierende
Geste mit beiden Händen.
»Sie wissen, wer ihr seid.«
»Bist du wahnsinnig geworden?«, keuchte Dulac. »Wie
konntest du …?«
»Wir sind hier in Cornwall, mein Junge«, unterbrach ihn
Sean. »Die guten Leute haben deine Schwester erkannt,
noch bevor sie vom Pferd gestiegen ist.« Er betonte das
Wort Schwester auf eine Art, die Dulac alarmierte, aber
mittlerweile hatte er sich wieder weit genug in der Gewalt.
Er begnügte sich damit, Sean einen noch ärgerlichen Blick
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