Runenschild
dem Gedanken, den Iren gegenüberzutreten, aber dann verscheuchte er den Gedanken, schritt energischer aus und
trat durch die Tür.
Vor ihm lag ein Zimmer, das dem Schankraum des
Gasthauses vor drei Tagen gleichzeitig fast zum Verwechseln ähnlich sah, wie er sich auch von ihm unterschied. Er
starrte auf die gleiche Art einfacher Tische und Stühle, die
ganz ähnliche, roh aus Holz zusammengezimmerte Theke,
selbst der Kamin, in dem ein behagliches Feuer prasselte,
schien sich an derselben Stelle zu befinden, und um das
Maß voll zu machen, stand hinter der Theke sogar ein
Mann, der dem Wirt in Statur und Größe nahezu wie ein
Bruder ähnelte und auch die gleiche Art von lederner
Schürze wie dieser trug. Nur dass seine Schürze sauber
war und nicht vor ranzigem Speck glänzte, dass er ein
offenes, freundliches Gesicht hatte, nicht die Augen eines
Halsabschneiders, und dass hier drinnen alles sauber und
adrett und in sehr gutem Zustand war. Der größte Unterschied aber war die Atmosphäre von Fröhlichkeit, die über
dem Raum lag, und das Fehlen jeglicher bedrohlicher
Stimmung.
Doch ganz wie vor drei Tagen saßen Sean und seine
Verwandten auch jetzt wieder an einem Tisch, unterhielten
sich lautstark und lachend und ließen Bierkrüge kreisen,
während sich vor ihnen Teller mit gebratenem Fleisch,
Brot und gekochtem Gemüse stapelten. Und noch etwas
war im ersten Moment auf verblüffende Weise gleich: Als
Dulac eintrat, verstummten alle Gespräche im Raum, und
nicht nur die Gesichter der Iren wandten sich in seine
Richtung, auch der Wirt drehte sich zu ihm herum und
maß ihn mit einem sehr langen und unverhohlen neugierigen Blick. Aber damit hörte es dann auch schon auf. Statt
ihn übellaunig anzufahren, trat der Wirt hinter seiner Theke hervor und auf seinem feisten Gesicht erschien ein breites Lächeln, das ihn schlagartig um zehn Jahre jünger aussehen ließ und auch noch den letzten Zweifel in Dulac
beseitigte.
»Unser Gast ist aufgewacht«, begrüßte er ihn, während
er Dulac fast verschwörerisch zublinzelte. »Und ich nehme an, ihr seid jetzt ziemlich hungrig?«
»Das … stimmt«, antwortete Dulac verwirrt. Sein Blick
irrte vom Gesicht des Schankwirtes zu dem Seans.
Wenn er sich schon die unverhohlene Freude in den Augen des Wirtes kaum erklären konnte, so verwirrte ihn der
Anblick auf den Zügen des Iren noch mehr.
Sean grinste eindeutig schadenfroh; als wisse er etwas,
von dem Dulac noch keine Ahnung hatte.
»Setz dich zu uns, Junge.« Sean wedelte aufgeregt mit
der linken Hand und zog mit der anderen einen freien
Stuhl vom Nachbartisch heran. »Du musst halb verhungert
sein. Also greif nur zu. Es ist mehr als genug da.«
Dulacs erster Impuls war, noch zu zögern, aber allein der
Anblick all der aufgehäuften Köstlichkeiten vor Sean und
seinen Brüdern ließ ihm nicht nur erneut das Wasser im
Mund zusammenlaufen. Sein Magen knurrte hörbar – was
ihm nicht nur peinlich war, sondern auch Seans Grinsen
noch um etliches breiter werden ließ – und seine Beine
setzten sich fast ohne sein Zutun in Bewegung. Er nahm
Platz, streckte die Hand nach dem Teller aus, den Sean
ihm über den Tisch hinschob, und begann schnell und gierig zu essen. Dulac war sich bewusst, dass ihn nicht nur
seine irischen Freunde, sondern auch der Wirt unverhohlen anstarrten, aber das war ihm egal. Fast gierig stopfte er
wahllos alles in sich hinein, was seine Finger nur zu fassen
bekamen, schluckte, griff nach einer weiteren Scheibe
Speck und schob sie sich in den Mund, bis er so voll war,
dass er kaum noch kauen konnte. Erst dann wurde ihm
klar, wie er sich benahm und was für einen Anblick er
eigentlich bieten musste. Betroffen hielt er inne und sah
sich ein wenig hilflos um.
Sean grinste noch genauso breit wie zuvor, aber irgendwie war sein Lächeln jetzt wärmer geworden. Ohne ein
Wort goss er einen Becher Bier ein und reichte ihn Dulac.
»Hier«, sagte er. »Damit geht es leichter. Und du solltest
langsamer essen, damit dir nicht übel wird. Keine Sorge –
es ist genug da.«
Dulac nahm den Becher mit einer verlegenen Bewegung,
spülte mit einiger Mühe die viel zu große Portion Essen
hinunter, die er im Mund hatte, und verschluckte sich natürlich prompt. Er begann zu husten, schaffte es aber immerhin, den Großteil seines Essens im Mund zu behalten
und keine allzu große Schweinerei anzurichten, fuhr sich
dann verlegen mit dem Handrücken über die Lippen und
nahm
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