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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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nur
flüchtigen Blick in die Runde zu werfen oder mehr als
beiläufig zu registrieren, dass ihre neuen Freunde hier offensichtlich mit offenen Armen empfangen wurden. Doch
das Nachtlager, das man ihnen jetzt zuwies, war kein zugiger Heuboden voll faulendem Stroh, sondern ein richtiges Zimmer mit einem richtigen Bett, dessen bloßer Anblick bereits reichte, um Dulacs Knie weich werden zu
lassen und seine Glieder mit flüssigem Blei zu füllen.
    Er erinnerte sich am nächsten Morgen nicht mehr wirklich, wie er hereingekommen war, doch als er das nächste
Mal erwachte, da schien die Sonne bereits hell durch das
schmale Fenster, und er hatte das Gefühl, das erste Mal
seit Monaten wieder wirklich geschlafen zu haben.
    Vielleicht lag es daran, dass er endlich einmal wieder in
einem richtigen Bett gelegen hatte und die erste Nacht seit
einer schieren Ewigkeit hinter ihm lag, in der er die Augen
schließen konnte, ohne Angst haben zu müssen, im Schlaf
von einem wilden Tier angefallen zu werden, zu erfrieren
oder die Schwertspitze eines Verfolgers an der Kehle zu
spüren, wenn er erwachte.
    Es war warm. Unten im Haus musste kräftig eingeheizt
worden sein, und er hörte gedämpfte Stimmen und dann
und wann ein Lachen, das Klappern von Geschirr, und der
Duft von gebratenem Speck und heißer Suppe ließ ihm das
Wasser im Mund zusammenlaufen, noch bevor er die Augen ganz aufschlug. Er tat es auch nicht sofort, sondern
genoss noch für einige Momente das völlig neue Gefühl
angenehmer Mattigkeit, das sich in seinen Gliedern ausgebreitet hatte, die Wärme der Decke, unter der er lag, und
das warme Sonnenlicht, das über sein Gesicht strich. Erst
dann hob er die Lider, drehte den Kopf auf dem Kissen,
das zwar in Wahrheit auch nichts anderes als ein mit Stroh
gefüllter Sack war, ihm in diesem Moment aber so weich
und luxuriös vorkam wie das kostbarste Linnen, und betrachtete lange Zeit und schweigend Gwinneths Gesicht.
    Sie lag neben ihm auf dem schmalen Bett und hatte sich
so eng in die Decke eingerollt, dass für ihn kaum mehr
etwas übrig blieb. Sie war noch immer so schrecklich
blass wie gestern, aber ihr Atem ging ruhig, und Dulac
konnte sich kaum daran erinnern, wann er sie das letzte
Mal so friedlich hatte schlafen sehen. Unendlich behutsam, um sie nicht zu wecken, rutschte er ein kleines Stück
von ihr fort, schwang noch behutsamer die Beine vom Bett
und stand auf. Gwinneth bewegte sich unruhig im Schlaf,
sodass er für einen Moment fast befürchtete, sie doch geweckt zu haben, aber dann drehte sie sich zur anderen Seite und rollte sich nur noch fester in ihre Decke ein.
    Dulac blieb eine Weile regungslos stehen, dann bückte
er sich nach seinen Stiefeln, schlich auf Zehenspitzen zur
Tür des kleinen Zimmers und huschte hindurch, ohne den
mindesten Laut zu verursachen. Gwinneth würde ihm für
seinen Alleingang vermutlich den Kopf abreißen, aber
Dulac hatte keinen Moment lang vergessen, was Sean ihm
über ihre einsame Wache an seinem Krankenlager erzählt
hatte. Sie hatte jede Minute Schlaf, die sie bekommen
konnte, bitter nötig.
    Erst draußen auf dem Gang, und nachdem er sich einige
Schritte entfernt hatte, schlüpfte er in seine Stiefel und
nahm sich die Zeit, sich zum ersten Mal aufmerksam umzusehen. Viel gab es allerdings nicht zu entdecken: Die
Tür befand sich am Ende eines schmalen, fensterlosen
Korridors, der nach vielleicht zwanzig Schritten in eine
steile Treppe mündete. Die Stimmen und das Gelächter
und auch der verlockende Essensgeruch kamen von dort
unten, sodass Dulac nicht mehr viel Zeit verschwendete,
sondern sich eilig auf den Weg machte. Immerhin bestätigte sich seine gestrige erste Einschätzung: Das hier war
keine heruntergekommene Kaschemme, sondern ein sehr
sauberes, freundliches Haus.
    Die Treppe führte in zwei engen Windungen nach unten
zu einem weiteren Korridor, von dem ein halbes Dutzend
niedriger, aber äußerst massiv aussehender Türen abzweigte. Dulac ignorierte sie ausnahmslos und ging auf
die Tür am anderen Ende des Ganges zu, die halb offen
stand. Die Stimmen, das Lachen und das Scheppern von
Geschirr waren hier deutlicher zu hören und er sah unstete
Bewegungen durch den schmalen Spalt. Wenn er sich
nicht täuschte, war es Sean, der sich dort mit seinen Brüdern in sehr aufgeräumtem Ton hinter der Tür unterhielt.
Aus einem Grund, den er sich selbst nicht genau erklären
konnte, empfand Dulac plötzlich Unbehagen bei

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