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Runlandsaga - Die Schicksalsfestung

Runlandsaga - Die Schicksalsfestung

Titel: Runlandsaga - Die Schicksalsfestung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Gates
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unwillkürliche Geste bewusst wurde. Er wollte Denebs Aufmerksamkeit auf keinen Fall durch eine hastige Bewegung stören. Der Archivar konnte ihn zwar nicht sehen, aber Pándaros besaß genügend rituelle Erfahrung, um zu wissen, wie selbst solche kleinen Störungen in den Geist von jemandem eindringen konnten, der sich noch nicht in tiefer Versenkung befand.
    Nun schloss er selbst die Augen. Er atmete tief ein und aus, sog den bitteren, aber erfrischenden Duft der verbrennenden Salbeiblätter in der Räucherschale auf dem Altar ein und entspannte seine von dem langen Ritt noch immer schmerzenden Muskeln. Sein Magen gurgelte laut, und tiefe Wärme breitete sich von der Mitte seines Körpers bis zu seinen Wangen und zu seinen Füßen aus.
    Es fing an.
    Deneb hatte ihn gebeten, ihn auf seiner Reise in die Geistwelten zu begleiten, also hatte er ebenfalls von den Pilzen gegessen, die dieser aus einem kleinen Lederbeutel in seiner Reisetasche gezogen hatte. Der Archivar hatte Watanja gebeten, die getrockneten, streng fleischig riechenden Stränge in einem Becher mit Stutenmilch einzuweichen.
    »Ist das Götterfleisch?«, fragte der Herr des Callabs argwöhnisch.
    Deneb sah ihn an, als verstünde er nicht recht, wovon der Yasgürai sprach.
    »So nennen sie die Reisepilze wohl in ihrer Sprache«, half Pándaros ihm.
    Denebs Augen weiteten sich, und er nickte eifrig. »Ay, genau. Götterfleisch. Wir essen diese Pilze, weil sie uns bei der Reise in die Geistwelten helfen.«
    »Davon habe ich schon gehört. Unser toter Semharansagte immer, die Geister der Pilze seien groben Scherzen nicht abgeneigt, aber wohlwollend. Er aß sie, wenn er den Weltenbaum bestieg. Werdet ihr das ebenfalls tun, um Eigins Seele zu suchen? Den Weltenbaum besteigen?«
    »Wir werden versuchen, ihn in den Geistwelten zu finden«, sagte Deneb. »Es gibt viele Welten jenseits dieser, die unsere wachen Augen erkennen können. Aber Euer Sohn ist ein Kind der Steppe. Er ist mit Geschichten über den Weltenbaum aufgewachsen, nicht wahr?«
    Ricónda, deren Hand die ihres Mannes umklammert hielt, nickte. »Ich habe ihm oft davon erzählt, wie Urvater Indriga den Baum bereiste, den Himmelsbären überlistete und uns das Feuer des Nordsterns brachte.«
    »Dann hält sich seine Seele vielleicht irgendwo in der Nähe des Weltenbaums auf, weil sie sich zu Eurem Volk und den Geschichten seiner Mutter hingezogen fühlt«, erklärte Deneb. Er ließ sich auf einem dunkelbraunen Schaffell am Kopfende von Eigins Bettstatt nieder.
    »Soll Tirianuk dir die Trommel unseres Semharan bringen?«, fragte Watanja.
    »Das wird nicht nötig sein«, gab Deneb zurück. »Euer Heiliger Mann hat getrommelt, um mit der Reise zu beginnen, aber in T’lar gehen wir es anders an. Wir setzen unseren Atem herab, um unsere Körper zu verlassen.«
    Der Yasgürai zögerte kurz, dann zuckte er die Schultern. »Macht es, wie ihr denkt, solange ihr Eigin zurückbringt.«
    Deneb und Pándaros hatten sich die eingeweichten Reisepilze geteilt, sich am Bett des kranken Jungen niedergelassen und darauf gewartet, dass die Wirkung dessen, was Watanja Götterfleisch genannt hatte, einsetzen würde. Er kannte diese Art Rausch, hatte ihn schon einige Male zu den Hohen Festen erlebt. Gewöhnlich fiel er nicht so heftig aus wie jener, der durch Malrasbeeren hervorgerufen wurde, aber wie bei den kleinen vertrackten Früchten endete ab einer bestimmten Menge die Kontrolle über das, was man erlebte. Die Frage durchzuckte ihn, wie viele von den Pilzen er eigentlich gegessen hatte.
    Jetzt, da er spürte, dass es losging, richtete er all seine Aufmerksamkeit auf seinen Atem. Er versetzte sein Bewusstsein in den kühlen, unsichtbaren Fluss, der sie alle in dem Callab umgab, dessen Kraft sie teilten und der ihre Schicksale miteinander verband – die Luft, die Watanja, Ricónda, Deneb, den todkranken Eigin und ihn selbst in diesem Moment am Leben hielt. Er fühlte diesen Strom, den er durch seine Nase und in seine Lungen sog und durch den leicht geöffneten Mund wieder ausstieß. Allmählich wurden seine Atemzüge tiefer und länger. Immer mehr Zeit verging zwischen jedem einzelnen Ein- und Ausatmen. Diese Übung hatte er seit seinem Eintritt in den T’lar-Orden täglich angewandt und über die Jahre hinweg zur Meisterschaft entwickelt. Die Momente zwischen dem Luftholen dehnten sich zu schier endlos erstreckenden Räumen aus. Löcher rissen in das Gefüge seiner Wahrnehmung. Kopfüber stürzte er in die

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