Runlandsaga - Die Schicksalsfestung
unbekannten Krieger genau beobachteten, ihnen aber keine Fragen stellten und sie auch nicht aufhielten. Als ob sie es zuvor besprochen hätten, gingen Enris und Neria gleichzeitig ein wenig schneller, um hinter den beiden letzten Kriegern durch das geöffnete Tor zu schlüpfen. Die Wachen musterten sie ebenfalls von Kopf bis Fuß, sprachen sie aber nicht an. Für sie schienen die beiden Nachzügler zu der Gruppe zu gehören, die sie eben in die Innenstadt hineingelassen hatten.
War der äußere Bereich der Weißen Stadt schon beeindruckend gewesen, so fühlten sich die beiden heimlichen Besucher des Inneren Rings wie erschlagen vom Anblick der Bauten um sie herum. Besonders die unzähligen hoch aufragenden Türme, die durch schlanke Brücken in den unterschiedlichsten Höhen miteinander verbunden waren, zogen Enris’ und Nerias Staunen auf sich. Sie gaben dem Stadtgebilde den Anschein eines einzigen riesigen Gebäudes, dessen unterschiedliche Bereiche sowohl für sich alleine standen als auch ein erkennbares großes Ganzes auf vielen Ebenen bildeten. Anders als in von Menschen gebauten Städten wirkten Mehanúrs Gebäude dadurch wie lebendig.
Nicht weit hinter dem Tor zur Innenstadt betrat die Gruppe der Krieger einen Platz, dessen Mitte von einem riesigen Gebilde aus metallenen Kugeln in verschiedenen Farben und Größen eingenommen wurde. Sie bewegten sich, befestigt an schlanken Stangen, um sich selbst wie auch gleichzeitig um ein sich im Kreis drehendes mannshohes Podest am Boden, in dem die Stangen mündeten. Enris fragte sich stirnrunzelnd, was es wohl darstellen mochte, als ihm zwei der Kugeln auffielen, die wie Laternen leuchtend gelb von innen heraus strahlten, während sie langsam um eine dritte, blau und grün gefleckte Kugel kreisten.
»V’lur und En’secta«, murmelte er, so leise, dass nur Neria neben ihm ihn vernahm und ihn ansah.
Eine laute Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.
»Wohin des Wegs, Reshari?«
Sein Herz klopfte schneller. Sie hatten also doch richtig geraten! Er blickte in die Richtung, aus der die Worte erklungen waren. Eine Gruppe von fünf Serephin war den Kriegern unter dem sich beständig weiter drehenden Gebilde in den Weg getreten. Ihre feindseligen Mienen verhießen nichts Gutes. Sofort blieb Neria stehen und zog Enris am Arm. Der junge Mann verharrte ebenfalls in seiner Bewegung. Unauffällig gingen die beiden rückwärts, um nicht unter die anderen Reshari gezählt zu werden, doch umsonst.
Schon nach wenigen Schritten prallten sie fast gegen zwei weitere Serephin in silbern schimmernden Rüstungen. Erschrocken fuhren sie herum. »Wo wollt ihr denn hin?«, knurrte der eine der beiden. Seine zornige Stimme klang noch mehr als die, die Enris bisher vernommen hatte, wie ein raues Fauchen, das sich in seinem Verstand auf unerklärliche Weise sofort in die Gemeine Sprache von Runland übersetzte. Die goldgelben Augen des Serephin, der ihn um zwei Köpfe überragte, funkelten auf ihn hinab. Enris wusste nicht, was er erwidern sollte. Am Rande seines Gesichtsfelds bemerkte er, dass noch mehr Serephin aufgetaucht waren. Sie waren umstellt.
»Seit wann haben wir euch darüber Rechenschaft abzulegen, wohin uns unsere Wege führen?«, erwiderte einer der Reshari. Ein schneller, blitzender Blick zu Enris ließ den jungen Mann argwöhnen, dass der Krieger die beiden Temari hinter sich schon länger bemerkt hatte. Er hörte sich gelassen und beinahe amüsiert an, so als hätte er die bedrohlichen Gesichter der Umstehenden noch nicht bemerkt. Dies reizte denjenigen, der ihn angesprochen hatte, noch mehr. »Ich werde dir verraten, seit wann«, knurrte er mühsam beherrscht. »Seitdem ihr durch die Straßen schlendert als wäre dies hier euer Zuhause, während täglich weitere unserer Brüder und Schwestern für die Sicherheit dieser Stadt ihr Leben lassen!«
Eine Serephinkriegerin stellte sich neben ihren Kameraden. Verächtlich spuckte sie vor dem Reshari auf den Boden. »Ihr seid Feiglinge!«, stieß sie hervor. »Und Feiglinge sind auch nicht besser als Verräter.«
»Wie kannst du es wagen!«, erboste sich nun ein Reshari, der sich weniger im Griff hatte als die anderen aus der Gruppe, deren gelassene Mienen sich nicht verändert hatten. Selbst der Reshari, vor dessen beschlagenen Stiefelspitzen es nass im Staub glänzte, erhob kaum seine Stimme. »Schweig, T’nar!« Er drehte sich nicht zu dem Angesprochenen um, sondern blickte weiterhin die Serephinkriegerin an, die
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