Runlandsaga - Die Schicksalsfestung
blinzelte erschrocken. »Was sollen wir denn deiner Meinung nach tun? Uns bewaffnen? Kämpfen – gegen Maugrim?«
»Warum nicht?«, gab Neria kühl zurück. »Ich habe gehört wie sie schreien, wenn sie brennen. Sie sind nicht unverwundbar, und unsterblich erst recht nicht.«
Die anderen starrten sie an, als stünden sie einer gefährlichen Verrückten gegenüber.
»Wie kannst du so etwas auch nur denken!«, entrüstete sich eine Frau mittleren Alters hinter Glabra. Ihre wässrigen, blauen Augen glitzerten Neria vorwurfsvoll im Fackelschein an. Enris hatte kurz den Eindruck, der Frau würden gleich Tränen über die Wangen laufen. »Die Maugrim sind Götter, wie die Feurigen Schlangen oder die Reshari. Sich auch nur auszumalen, sie bekämpfen zu wollen, ist völliger Irrsinn! Wir könnten uns gegen sie ebenso wenig wehren, wie wir unsere eigenen Schöpfer angreifen würden. Es ist unvorstellbar!«
»Ist es das?«, mischte Enris sich ein. Nerias Blick dankte ihm dafür. »Wisst ihr etwa nicht, weshalb die Maugrim euch töten wollen? Die Feurigen Schlangen haben uns mit dem Blut des mächtigsten Maugrim aller Zeiten das Leben eingehaucht.«
Erschrocken hob Jahanila eine Hand, um ihn davon abzuhalten, weiterzusprechen, aber Enris fuhr fort, noch ehe sie das Wort ergreifen konnte. »Ich weiß, es sollte ein Geheimnis bleiben, aber Geheimnisse helfen uns jetzt nicht weiter. In der Schlacht, die gleich beginnt, werdet ihr Serephin jede Hand brauchen können, die eine Waffe halten kann. Wenn die Temari in Mehanúr ihre Stärke finden sollen, dann müssen sie wissen, wo sie diese finden können.«
Die Feuerpriesterin hatte zu einer Erwiderung angesetzt, aber nun kam kein Wort über ihre Lippen. Ihr Mund stand offen, und sie musterte Enris, als wäre er ihr zum ersten Mal wirklich aufgefallen. Enris blickte wieder die nicht minder erschütterten Umstehenden an. »Diese Stärke war immer in euch, von dem Moment an, als ihr erschaffen wurdet. Es gibt keinen Teil von euch, der nicht auch ein Teil von denen ist, die ihr Götter nennt. Ich sage, behaltet das im Gedächtnis, wenn wir daran gehen, uns zu verteidigen, falls die Zisterne gestürmt wird.«
Lautes Stimmengewirr antwortete ihm, als die Flüchtlinge alle durcheinander zu reden begannen. Der Lärm schien Jahanila aus ihrer beeindruckten Starre zu entlassen. Sie vollführte eine kurze Geste mit ihrer noch immer erhobenen Hand, als würde sie eine lästige Fliege verjagen. Die Flamme der Fackel in Glabras Hand schoss völlig unvermittelt mehrere Fuß senkrecht in die Höhe, so dass ein heller Lichtblitz durch die Halle fuhr. Aufgeregt schnappten einige nach Luft, andere sprangen erschrocken zurück, traten dabei über den Laufsteg hinaus und landeten laut platschend im Wasser der Zisterne. Die Vielzahl der durcheinander redenden Stimmen war verstummt. Alle starrten ihn an. Die Fackel in seiner weit von sich gestreckten Hand brannte so ruhig wie zuvor.
»Wenn ich es mir recht überlege, dann liegt der junge Temari völlig richtig«, sagte Jahanila. »Wir haben euch lange genug klein gehalten. Es wird Zeit, dass wir euch die Möglichkeit geben, für eure eigenen Leben einzustehen.«
»Heißt das, wir sollen uns von nun an selbst beschützen?«, wollte Glabra wissen. »Werdet Ihr uns allein lassen?«
»Natürlich nicht«, gab Jahanila zurück. »Wir werden euch auch weiter nach Kräften beschützen. Aber es wird euch bestimmt nicht schaden, selbst ebenfalls etwas zu eurer Verteidigung zu unternehmen.«
»Was können wir denn schon tun?«, fragte ein Mann, der eben mit tropfnassen Hosenbeinen zurück auf den Laufsteg geklettert war. »Wir besitzen keine Waffen, und selbst wenn wir welche hätten, wäre die Zeit viel zu knapp, um zu lernen, wie man damit umgeht.«
»Wir alle besitzen Waffen, die immer bei uns sind, auch wenn nicht jeder von uns darin geübt sein mag, sie zu benutzen«, sagte Enris. Er bemerkte, dass die Augen aller Flüchtlinge auf ihn gerichtet waren und sie ihm genau zuhörten. Es gefiel ihm, ihre Aufmerksamkeit zu besitzen. Sein Gespräch mit Königin Tarigh am offenen Fenster des Ratsturms von Menelon flammte kurz in seiner Erinnerung auf, fast wie eben das Feuer an Glabras Fackel in die Höhe geschossen war. Er erinnerte sich daran, wie die Herrin des Regenbogentals ihm gesagt hatte, jeder Anführer sei auch ein Hochstapler, denn er gäbe den Menschen etwas, das sie gerne in ihm sehen würden. Nur – in genau diesem Augenblick fühlte er sich
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