Runlandsaga - Feuer im Norden
brüllte Teras gegen das immer lauter ertönende Brausen des Sturms. »Warum ist das verfluchte Segel noch immer nicht gehisst? Wir müssen hier weg.«
»Sind dabei!« ,schrie Calach zurück.
»Zu spät!« Das war Daniro von mittschiffs. »Wir schaffen es nicht mehr.« Sein Gesicht war aschfahl. Der riesige Wirbel türmte sich auf der Steuerbordseite vor ihnen auf, ein heulender, dunkler Schlauch, die Nabelschnur eines unsichtbaren Dämons, die Himmel und Erde miteinander verband und den Blick auf den Strand fast völlig versperrte.
Daniro sprang mit weiten Sätzen zur Luke, die unter Deck führte.
»Heh, bleib hier! Alleine bekomme ich das Segel nicht hoch!« Calach wollte Daniro nachlaufen, aber Suvare hielt ihn fest.
»Vergiss ihn, wir haben keine Zeit mehr. Torbin! Teras! Helft uns.«
Langsam begann sich das Großsegel zu heben. Während es sich knatternd ausbeulte, nahm die Tjalk ruckartig an Fahrt auf. Suvare stemmte sich gegen das Steuerrad, um das Schiff etwas vom Wind abfallen zu lassen und ihren Leuten die Gelegenheit zu geben, das Segel völlig zu hissen, ohne dass der Sturm sie dabei behinderte.
Arcad hatte sich wieder erhoben und hielt sich mit seiner gesunden Hand an der Reling fest. Angespannt beobachtete er den sich nähernden Wirbel. Er fuhr herum, als er neben sich eine Bewegung wahrnahm. Es war Enris, der ihm Syr reichte.
»Binde mich fest. Ich muss spielen, und dazu brauche ich beide Hände.«
Der junge Mann bückte sich sofort nach einem Tau und schlang es Arcad um den Bauch, während sich der Elf mit dem Rücken an die Reling setzte. Enris schlang das Tau um das Geländer, bevor er es verknotete. Der Endar stützte die Harfe auf seinen gesunden Arm und sah zu Enris. »Bring dich in Sicherheit!«
Enris schüttelte heftig den Kopf. »Ich bleibe bei Euch!«
»Dann binde dich ebenfalls fest, bevor ...«
Ehe der junge Mann zu Ende sprechen konnte, ging ein Ruck durch die Suvare . Die Planken ächzten laut, Enris wurde gegen die Reling geschleudert. Es gelang ihm gerade noch, ein Ende des Taus zu erfassen, mit dem er Arcad gefesselt hatte, bevor er mit seinen Beinen über das Geländer rutschte, als sich das Schiff auf die Seite zu legen begann. Als er nach oben blickte, sah er, wie sich der Wirbel dicht vor ihnen an Steuerbord auftürmte. Trotz der Geschwindigkeit, mit der sie nun vorankamen, hatte der Sturm sie erreicht. Enris schrie entsetzt, die Hände fest um das Tau geschlungen und mit den Füßen um sich schlagend, um wieder ins Innere der Tjalk zu rutschen und einen festen Stand zu bekommen.
Gleichzeitig schloss Arcad die Augen. Seine Finger fuhren über die Saiten der schwarzen Harfe. Die Töne flogen seltsam laut und klar vor dem wütenden Brausen des Sturms einher wie kleine Singvögel vor einer dunklen Gewitterwolke, der es nicht gelang, ihren Gesang zu unterdrücken. Enris drehte trotz des entsetzlichen Anblicks den Kopf, um zu sehen, was Arcad tat. Der Elf spielte weiter mit geschlossenen Augen seine Melodie, unbeeindruckt von dem Wirbel, der sich anschickte, in den nächsten Augenblicken das Schiff zu zertrümmern. Festgeschnallt an die Reling der Tjalk war er bis auf die Bewegungen seiner Finger so reglos, als wäre er eine zu dem Geländer gehörende Schnitzerei aus Holz. Gleißend hell schoss ein Lichtstrahl zwischen den Saiten der Harfe hervor, sodass Enris die Augen schließen musste, denn das Licht dehnte sich noch weiter aus. Es bohrte sich selbst durch die geschlossenen Lider bis ins Innere seines Schädels. Ein lautes, schmerzhaftes Knacken ertönte in seinen Ohren –
– und mit einem Mal ist ihm, als würde die Sonne selbst aus den Saiten von Syr heraus aufgehen, um den Horizont zu ersteigen. Alle Bewegungen um Enris verlangsamen sich, als würden die Götter zähflüssiges Harz in den klaren Strom der Zeit gießen. Er blinzelt benommen. Die Zeit verrinnt schnell wie immer, aber es stürmen so viele Eindrücke auf ihn ein, dass es seinem Geist schwer fällt, sie alle gleichzeitig wahrzunehmen, sodass sie verlangsamt werden, obwohl sie selbst ihre Geschwindigkeit nicht verringert haben.
Er sieht alles, was um ihn herum geschieht, ohne seinen Kopf drehen zu können. Er ist nicht in der Lage, auch nur den Arm zu heben, aber sein Verstand ist zu einem einzigen riesigen Auge geworden.
Er sieht das blendende Licht, das aus der Harfe hervorgebrochen ist. Es hat sich zu einer gewaltigen Kugel ausgedehnt, die das ganze Schiff umhüllt, so wie die magische Sphäre in
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