Runlandsaga - Feuer im Norden
Altars ab. In dessen Mitte war ein bronzener Türklopfer in Form eines Drachenkopfes angebracht, zwischen dessen Zähnen ein schwerer, goldener Ring festgehalten wurde. Zwei geschliffene Granate funkelten lebendigen Augen gleich in dem Schädel, der mit grüner Patina überzogen war. Sie schienen Jahanilas Bewegungen aufmerksam zu verfolgen, als sie den Ring ergriff und ihn fest gegen das verschlossene Tor schlug.
Stille folgte dem dumpfen Schlag. Die Nevcerran hielten sich ein wenig abseits und taten so, als seien sie wieder mit ihrer Arbeit beschäftigt, während sie Alcarasán und seine Begleiterin aus den Augenwinkeln beobachteten.
Mit einem Mal begann sich der Drachenkopf langsam zu bewegen, als würden Muskeln unter dem Metall arbeiten. Das langgezogene Maul öffnete sich etwas, ohne dabei den Ring, der um seine unteren Schneidezähne lag, loszulassen. Ein lautes Brüllen hallte durch den Tempel und wurde von den im Halbdunkel liegenden Wänden zurückgeworfen.
Das Tor öffnete sich, und eine hochgewachsene Gestalt in einem dunkelblau schimmernden Plattenpanzer trat durch den Eingang. Sie streckte ihren rechten Arm nach vorne, sodass sich die breite Spitze ihres Speers, den sie festhielt, schräg gegen die beiden Priester richtete. Das Visier ihres Helms war heruntergeklappt.
»Wer will den Ältesten sprechen?«, fragte eine dumpf tönende Stimme.
»Du kennst uns doch, Seráncar«, erwiderte Jahanila unwillig. »Wir sind es, Alcarasán und ich. Musst du das denn jedes Mal fragen?«
Die Gestalt in der Rüstung rührte sich nicht vom Fleck. »Dass ich euch kenne, spielt keine Rolle. Es ist meine Aufgabe, diese Frage zu stellen, wenn jemand den Ältesten sprechen will, also frage ich, und ihr werdet antworten, wenn ihr an mir vorbei wollt.«
Beinahe hätte Alcarasán über soviel absurdes Pflichtgefühl geschmunzelt. So etwas konnte wirklich nur von jemandem wie Seráncar kommen. Er war zur selben Zeit wie Alcarasán dem Orden beigetreten. Was ihm an Talent fehlte, das ersetzte er durch sture Ergebenheit. Er hatte den Rang eines Sentinels inne, eines Wächters des nie verlöschenden Feuerbeckens.
Jahanila setzte zu einer weiteren Erwiderung an, als Alcarasán ihr in die Seite stieß.
»Nun sag schon endlich den Spruch, damit wir hineinkönnen«, brummte er ihr leise zu. Ich habe keine Lust, noch länger hier herumzustehen und mich angaffen zu lassen!«
Sie seufzte und straffte sich wie eine Schauspielerin auf einer Bühne, die sich für eine längere Rede bereit machte. Alcarasán kam der Gedanke, dass es dies letztendlich auch war – ein Ausschnitt aus einem alten Ritual, dessen Bedeutung schon lange nicht mehr wichtig war, das aber immer noch peinlichst beachtet werden musste. Dieses Feststecken in alten Werten und Glaubensvorstellungen, das so viele Bereiche des Lebens in Vovinadhár wie Schimmel an einer Wand durchzog, das hatte ihn doch letzten Endes von seiner Heimat fortgetrieben, oder etwa nicht? Er war erst kurze Zeit hier, hatte kaum den Staub der Reise von seinen Füßen geschüttelt, und schon stand er wieder einem der Gründe gegenüber, weswegen er damals fortgegangen war. Nichts hatte sich geändert.
»Wächter, wir begehren den Maharanár, den Ältesten des Feuertempels zu sehen«, sagte Jahanila laut. Ihre Stimme hatte einen feierlichen Ton angenommen, aber dennoch sprach sie schneller als vorher, als ginge es ihr vor allem darum, so rasch wie möglich ein lästiges Zeremoniell hinter sich zu bringen. »Wir ersehnen das Antlitz von Ihm, der im Herzen der Weißen Stadt des Feuers thront, und erbitten das Licht seines Rates, in dessen Schein keine Falschheit und kein Irrweg Bestand haben kann.«
»Wie sind eure Namen, Drachengeborene?«, fragte Seráncar zurück.
»Vor Euch stehen Jahanila aus dem Haus des Berjasar in der Stadt Gotharnar, Priesterin des Feuertempels und persönliche Schülerin des Maharanárs, und Alcarasán aus dem Haus des Irinori, Priester des Feuertempels und persönlicher Gesandter des Maharanár.«
»Betretet Ihr mit reinem Herzen diesen Ort?«
»Unsere Herzen sind ohne Arg und unsere Augen sind weit geöffnet.«
Seráncar winkelte seinen Arm an und zog dadurch den Speer wieder dicht an seinen Körper heran. Dann trat er zur Seite und gab den Eingang frei. »Nach dem Wunsch des Maharanárs mögt ihr passieren.«
Na endlich, murmelte Alcarasán in Gedanken, ohne sich die Mühe zu machen, zu unterdrücken, was ihm durch den Kopf ging. Sollte der Sentinel doch
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