Runlandsaga - Wolfzeit
wahr?«
Deneb hielt weiter seinen Kopf gesenkt und starrte reglos auf den Boden, als versuchte er krampfhaft, sich unsichtbar zu machen. So plötzlich, wie er mit dem Trommeln seiner Finger aufgehört hatte, herrschte Bendíras nun Pándaros an. »Was hast du dir bloß dabei gedacht? Alle Geister, der Rat der Stadt übt seit Jahr und Tag Druck auf uns aus, weil er die Spendengelder kürzen will. Ich verbringe meine Zeit in den Sitzungen damit, den Leuten klarzumachen, dass wir auf dieses Geld angewiesen sind und den Orden mit Mühe und Not am Laufen halten. Aber dann richtet ein berauschter Priester die Augen von ganz Sol auf sich! Weißt du, was die Ratsherren jetzt sagen werden? Wenn T´lar in der Lage ist, seine Priester mit der teuersten Droge von Runland zu versorgen, dann kann T´lar auch ohne Spenden auskommen! Wie konntest du dir den Malrastrank überhaupt leisten?«
»Das versuche ich dir doch zu erklären.« Pándaros wurde ungeduldig. Er brannte darauf, endlich seine Geschichte mitzuteilen. »Ich habe ihn nicht selbst gekauft, und ich habe ihn auch nicht freiwillig zu mir genommen. Dieser Händler, Gersan, er hat ihn mir zu trinken gegeben, damit er mich in seinem Haus festhalten konnte. Und da war noch ein anderer. Die beiden haben etwas mit Ranárs Verschwinden zu tun!«
Der Ausbruch des Priesters verfehlte seine Wirkung nicht. Bendíras Haltung änderte sich von einem Moment auf den anderen. Verblüfft sah er Pándaros an, dem nun erst auffiel, wie angeschlagen der Hohepriester immer noch von seiner Magenverstimmung sein musste. Jetzt, da der Ärger aus seinem Gesicht wich, wirkte es wie das eines anderen Menschen, blass und angespannt. Er schwieg und ließ Pándaros erzählen. Nur das Leuchten seiner Augen verriet, dass er ihm genau zuhörte, während dieser seine Erlebnisse des vergangenen Tages schilderte. Mehrere Male tauschte er mit Deneb besorgte Blicke aus, vor allem, als der Priester von dem Gespräch der beiden Männer berichtete, das er heimlich belauscht hatte.
Schließlich hatte Pándaros´ Erzählung die Jagd auf den Yarn erreicht. »Die beiden Kerle haben bis zuletzt versucht, mich zu erwischen. Was aus ihnen geworden ist, weiß ich nicht. Ich verlor mein Bewusstsein und bin erst wieder im Krankentrakt aufgewacht.« Er sah von Bendíras zu Deneb. »Was ist los? Ihr zieht Gesichter, als ob ich euch etwas erzählt hätte, das ihr längst wusstet.«
»Soll Nasca hierbleiben?«, fragte Deneb leise, der sich über den Tisch zu Bendíras gebeugt hatte.
Der Hohepriester seufzte ungeduldig. »Natürlich! Er kann ruhig alles hören. Die beiden Novizen, die uns von dem Einbruch erzählt haben, unterhalten inzwischen bestimmt schon den halben Orden mit ihrer Geschichte.«
»Ein Einbruch?«, wollte Pándaros wissen. Er tauschte mit dem Heiler, der neben ihm stand, einen Blick, aber Nasca zuckte ratlos die Achseln.
»Heute Nacht haben sich eine oder mehrere Personen Zugang zur Schriftensammlung des Ordens verschafft«, erhob Deneb nun das Wort, während sich Bendíras in seinem Sessel zurücklehnte und sich mit geschlossenen Augen die Stirn rieb, als ob ihm der Kopf schmerze. Seine Stimme klang nüchtern, aber Pándaros bemerkte die besorgte Miene seines Freundes. Was hatte sich hier ereignet, während er bewusstlos gewesen war?
»Die Türen eines der Seiteneingänge im Küchenbereich wurden aufgebrochen. Mit all dem Trubel der Vellardinnacht und des anstehenden Rituals fiel der Einbruch offenbar niemandem auf. Auch die Türen zur Schriftensammlung wurden gewaltsam geöffnet. Als ich heute Vormittag meinen Dienst antrat, verständigte ich sofort die Ordensleitung. Wir mussten feststellen, dass es der unbekannte Dieb auf die Schriften von Anaria abgesehen hatte – genauso wie auch der unbekannte Auftraggeber deiner Entführer. Das Regal war ausgeräumt und die Schriftrollen und Bücher auf dem Boden verstreut. Es fehlte nur dieser einzige Text, deshalb gehen wir davon aus, dass hier kein gewöhnlicher Dieb am Werk war. Der Einbrecher wusste scheinbar genau, was er suchte.«
»Was für ein Text wurde gestohlen?«, fragte Pándaros.
»Anarias Bericht über die Ankunft unserer Vorfahren in Runland«, entgegnete Deneb niedergeschlagen. »Es ist kein Buch, sondern eine Schriftrolle. Wir hatten noch keine Abschrift davon angefertigt. Wenn es uns nicht gelingt, sie wiederzubeschaffen, dann haben wir einen Schatz verloren, der nicht mit Gold aufgewogen werden kann.«
Bendíras hatte wieder
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