Runlandsaga - Wolfzeit
schließlich doch die Müdigkeit übermannt hatte. Der Archivar stand vor ihm. An seiner Seite hing eine ausgebeulte Reisetasche herab. »Keine Sorge, ich bin´s nur.«
Pándaros blinzelte wie ein verwirrter Vogel in einem Gewitter. Leise aufstöhnend erhob er sich vom Fußboden. Deneb musterte ihn besorgt. »Geht es dir gut? Sollen wir dich nicht doch lieber in ein Bett schaffen?«
»Nein, es geht mir nicht gut«, brummte Pándaros, »und nein, ich will in kein Bett, jedenfalls nicht jetzt und nicht unter Nascas Fittichen.«
»Schon gut, schon gut!« Deneb wandte sich den Regalen mit den Lebensmitteln zu, um etwas Obst und ein paar Zwiebeln in seine bereits übervolle Reisetasche zu stopfen. »Wohin sollen wir uns denn eigentlich zuerst aufmachen?«
»Zu Gersans Haus. Ich bin mir sicher, dass wir Ranár nicht dort finden werden, aber vielleicht stolpern wir darin über irgendeinen Hinweis, wo wir ihn suchen sollen. – Hör mal, bist du dir sicher, dass du all das auch schleppen kannst, was du da an Vorräten mitnimmst?«
Deneb hielt mitten in seiner Bewegung inne und legte mit einem schuldbewussten Grinsen eine dicke Rübe, die er eben aus einer offenen Kiste genommen hatte, wieder zurück.
»Das wird kein Spaziergang! In deinen Abenteuergeschichten steht bestimmt nichts davon, wie anstrengend es ist, mit all seinen Habseligkeiten auf dem Buckel über eine staubige Straße zu laufen.«
»Jetzt tu bloß nicht so, als würdest du dich im Reisen auskennen.« Deneb hörte sich beleidigt an. »Von der Welt außerhalb des Ordens weißt du genauso wenig wie ich.«
»Ein wenig mehr als du kenne ich mich schon aus«, entgegnete Pándaros, der sich inzwischen wieder seinen Rucksack umgehängt hatte. »Wenigstens finde ich mich in Sol zurecht. Schließlich musste ich oft genug Besorgungen in der Stadt erledigen.«
Falls dem Archivar eine Entgegnung auf den Lippen lag, sprach er sie nicht aus. Stattdessen ließ er seinen Freund vorangehen, als sie nun erneut die Küche betraten. Wie zuvor sprach niemand sie an. Die Vorbereitungen für das Abendessen waren im vollen Gange. Einige Küchenhilfen schälten Kartoffeln und warfen die Schalen in einen Eimer neben der offenstehenden Tür zum Hof. Sie waren so in ihre Arbeit vertieft, dass sie nicht einmal aufsahen, als die beiden Priester an ihnen vorbei nach draußen schritten.
Auch heute schien die Sonne ungewöhnlich heiß auf das Pflaster. Pándaros brach unter seiner Kapuze sofort der Schweiß aus, aber er wollte sie erst wieder zurückwerfen, wenn sie das Ordensgelände hinter sich hatten. Sie bogen um die Ecke des Küchentraktes und gingen im Gemüsegarten zwischen den Beeten bis zum Rand der Außenmauer, die alle Gebäude des T´lar-Ordens umschloss. Schweigend schlichen sie an der Mauer entlang, vorbei an mehreren Schuppen, einer Schmiede und der Weberei, bis schließlich vor ihnen der Haupteingang mit den anschließenden Gebäuden lag. Niemand außer dem Pförtner war dort zu sehen. Der kräftige, breitschultrige Mann saß in einem Seitenraum des Durchgangs und nickte ihnen zu. Nasca hatte ihn angewiesen, diesen Pándaros von der Ordensleitung nicht durchzulassen, wenn er vorbeikäme, aber das hier war der Archivar der Schriftensammlung, der seine Kapuze zurückgeschoben hatte und ihm einen freundlichen Gruß zuwinkte. Wie fast immer war er in Begleitung einer seiner Schreibkräfte.
»Na, wie geht´s dir, Morva? Ist dein Kater von heute Morgen wieder verschwunden?«
Der Pförtner zog eine Grimasse. Deneb blieb kurz stehen, während sein Begleiter bereits weiterging.
»Nein, er hat sich nur kurz versteckt, aber in der Hitze hat er wieder ordentlich zugeschlagen. Hätte ich gestern nur die Finger vom Flirin gelassen! Mein Kopf kommt mir vor wie ein Amboss, auf den ein Schmiedehammer einschlägt. – Wohin seit ihr denn unterwegs?«
»Oh, wir sollen dem Rat einen Haufen abgeschriebener Texte bringen. Du glaubst ja nicht, wie schwer Papier wiegt! Wenigstens bezahlen sie T´lar gut für unsere Dienste. – Bis später, und schau beim nächsten Fest nicht so tief ins Glas!«
Mit einer abfälligen Handbewegung winkte Morva ihm brummend zu. Deneb trat durch den Eingangsbogen und hinaus auf die Straße. Er beeilte sich, zu seinem Freund aufzuschließen.
»Bei der Träumenden, du bist wirklich ein Schlitzohr«, flüsterte Pándaros aus dem Schatten seiner tief ins Gesicht hängenden Kapuze heraus. »Erinnere mich daran, dass ich niemals wieder mit dir Dreyn spiele. Du
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