Runlandsaga - Wolfzeit
Deck verbringen konnten, anstatt wegen Regenschauern im Schiffsrumpf zusammengepfercht zu sein.
Suvare hielt sich die meiste Zeit über am Heck bei Torbin auf. Ihr Steuermann kannte die Strecke entlang der Wildlandküste zwar, aber weder er noch Suvare selbst waren sie oft entlanggesegelt. Die Mehrzahl ihrer Fahrten hatten sie nach Runlands Westen unternommen, nach Tyrzar, Incrast, sowie zu den Hafenstädten der Südprovinzen. Runland im Norden zu umrunden war gefährlich, und das nicht nur wegen der Piraten. Die Fahrrinnen zwischen den Arcandinseln und Seran hatten ihre Tücken. Nicht wenige Schiffe waren dort schon von den teilweise dicht unter der Wasseroberfläche liegenden Felsen aufgerissen worden. Während sich die Tjalk langsam nach Norden vorarbeitete, beobachteten Suvare und Torbin aus wachsamen Augen ihren Kurs.
Enris fiel auf, dass sich Daniro inzwischen wieder bei weitem besser im Griff hatte als kurz vor ihrer Ankunft in Menelon. Er bewegte sich selbstbewusst und erledigte seine Arbeiten so gründlich wie jeder andere an Bord. Anscheinend hatte er den Schrecken des Sturms bei den Weißen Klippen endgültig niedergerungen. Dennoch behielt Enris aber einen Rest von Argwohn gegen den jungen Mann. Noch waren sie nicht in schweres Wetter geraten. Wer konnte nicht sagen, ob Daniros Angst wiederkehren würde, wenn die ersten Brecher das Schiff packten? Ihm fiel auf, dass Teras ähnliche Gedanken haben musste, denn für gewöhnlich wusste er es so einzurichten, dass er sich in Daniros Nähe befand und ein Auge auf ihn werfen konnte.
Es dauerte nicht einmal einen vollen Tag, bis die erste unerwartete Unterbrechung ihrer Reise stattfand. Die Sonne tauchte gerade an Backbord ihr rotes Gesicht in die See. Enris hatte sich mit Suvare, Corrya und Aros in der Khorskajüte eingefunden. Auch Neria war im Raum, hielt sich aber wie meistens abseits. Während die anderen an Suvares Tisch saßen, hatte sie auf dem Bett Platz genommen und verhielt sich so ruhig, dass die anderen sie kaum beachteten.
Als es an der Tür klopfte, rechneten alle damit, dass Calach mit dem Abendessen hereinkommen würde. In der Tat war er es, der eintrat. Doch er kam nicht allein. Er schob zwei kleine Gestalten vor sich her, die er mit kräftigem Griff am Kragen gepackt hatte.
»Nun schaut euch mal an, was ich gerade im Schiffsbauch aufgestöbert habe!«, rief er herausfordernd und stieß seine Beute vor sich in den Raum, dass sie bis an den Tisch stolperten.
Enris glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Vor ihm standen mit trotzigen Blicken Themet und Mirka.
»Zwei Ratten weniger unter Deck«, knurrte Calach. »Sollen wir sie über Bord werfen?« Er wandte sich den Jungen zu. »Bis an Land schafft ihr es doch spielend, oder? Immerhin habt ihr euch an unseren Vorräten so gut bedient, dass ihr Bärenkräfte haben müsstet.«
Themet, der nicht schwimmen konnte, wie Enris wusste, rückte vorsichtshalber etwas weiter von Calach ab. »Wir hatten keine Lust, in Menelon zurückzubleiben«, platzte er heraus.
»Ach ja? Ihr hattet keine Lust?«, herrschte Enris ihn von seinem Platz aus an. Er sah so verärgert aus, dass Themets trotzige Miene sofort verschwand. Tatsächlich brannte nach der ersten Überraschung in ihm der Zorn. Wie konnte Themet ihn nur so vor den anderen bloßstellen! Er hatte auch ohne den Jungen seine liebe Mühe, von jemandem wie Corrya als Kopf ihres Unternehmens anerkannt zu werden. Nun sah es für jeden an Bord so aus, als ob nicht einmal der Junge, für den er verantwortlich war, auf ihn hören wollte.
»Habt ihr euch eigentlich auch nur einen Augenblick lang überlegt, was für eine Heidenangst ihr Mirkas Mutter mit diesem dämlichen Streich machen würdet?«, herrschte er die beiden an. Er fühlte, dass die anderen im Raum ihn aufmerksam musterten. »Helja hat dich schon einmal beinahe verloren geglaubt«, wandte er sich an Mirka. »Bestimmt kommt sie halb um vor Sorge um euch.«
»Wie habt ihr es eigentlich an Bord geschafft, ohne entdeckt zu werden?«, fragte Suvare die beiden Jungen, die wortlose Blicke wechselten, aber nicht antworteten.
»Nun spuckt es schon aus!«, drängte Enris.
»Wir haben uns gestern Nacht über die Landungsbrücke geschlichen«, sagte Themet schließlich. »Wir waren schon den ganzen Abend über im Hafen und warteten auf den richtigen Moment.«
Mirka fiel ihm ins Wort, als hoffe er, dass das Gewitter über ihm sich schneller abregnen würde, wenn er mit einer guten Geschichte aufwartete.
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