Russendisko
hoffentlich keine Schimpfwortes grübelte ich auf dem Weg zum Tonstudio in der Manteuffelstraße, wo die Aufnahme stattfinden sollte. Dort wurde ich aufgeklärt: Ein polnischer Wissenschaftler hatte ein neuartiges gynäkologisches Gerät erfunden, das den Frauenarzt voll ersetzen soll. Und es kann in drei Sprachen sprechen: Deutsch, Englisch und Russisch. Nun wird das Wundergerät die Frauen des XXI. Jahrhunderts auf Russisch mit meiner Stimme beglücken: »Behälter ist voll«, »Behälter ist leer«, »Achtung, eine Luftblase!« »Warum klingen Sie so traurig?«, fragte mich der Aufnahmeleiter beleidigt. »Ich dachte, es handelt sich um Pannen, es ist doch traurig, wenn beispielsweise der Behälter leer ist«, erwiderte ich. »Ach Quatsch! Das ist wunderbar! >Behälter ist leer konnte ich den neuen Text schon zum Üben mit nach Hause nehmen. In der U-Bahn las ich ihn. Bereits der erste Satz begeisterte mich: »Alles wird uns gelingen!«, sagt die Maschine.
Der Radiodoktor
Die in Berlin lebenden Russen trauen deutschen Ärzten nicht. Sie sind zu selbstsicher, wissen immer Bescheid, noch bevor der Patient ihre Praxis betritt, und für alle Krankheiten der Welt haben sie sofort die richtige Medizin auf Lager, für alle Probleme des Patienten eine Lösung. Das geht doch nicht! Ein Arzt, der den Russen genehm ist, muss die Furcht des Patienten vor seiner Krankheit teilen, ihn trösten, ihm Tag und Nacht beistehen, sich alle Geschichten über seine Frauen, Kinder, Freunde und Eltern anhören und mit der Diagnose, die sich der Kranke selbst stellt, möglichst einverstanden sein. Ganz wichtig ist auch: Er muss gut Russisch können, sonst kann er die Tiefe des Leidens nicht nachvollziehen. Deswegen suchen sich die kranken Russen stets einen russischen Doktor. Er lässt sich überall leicht finden.
In Berlin gibt es sie für jeden Fachbereich: Zahnärzte und Gynäkologen, Röntgenologen und Psychologen, Dermatologen und Kardiologen. Der Berühmteste von allen ist der so genannte Radiodoktor. Mit Radiologie hat der Mann nichts zu tun, er heilt die Menschen hier per Rundfunk, indem er jeden Montag um halb sieben mit seiner Sendung »Die Ratschläge eines Doktors« beim SFB 4 »Radio MultiKulti« in russischer Sprache auftritt. Der Radiodoktor ist ein alter Mann, der vor ein paar Jahren aus einer ukrainischen Kleinstadt nach Berlin gezogen ist. In den Sechzigerjahren arbeitete er dort in einem Krankenhaus. Nun rettet er mit seinen wertvollen Erfahrungen Menschenleben per Funk.
Seine Sendung fängt immer auf die gleiche Art an: »Viele unserer Hörer beschweren sich wegen ständiger Kopfschmerzen. Ich weiß nicht, wie das heute erklärt wird, aber bei uns damals in der Ukraine gab es dafür nur zwei
Ursachen: die Männer hatten Kopfschmerzen vom schlechten Schnaps, und die Frauen hatten Kopfschmerzen von der Menstruation.«
Der Radiodoktor hat bei den Russen enormen Erfolg. Niemand sonst bekommt so viele Anrufe und so viel Fanpost wie er. Aus diesen Anrufen und Briefen sucht sich der Radiodoktor die Themen für seine weiteren Sendungen heraus. Über alles weiß er Bescheid: Er klärt die Russen auf, was man gegen Pickel machen kann: »Die sagen Clearasil, aber ich kann mich noch gut erinnern, Benzin tut es auch. Am besten Diesel -zweidreimal am Tag das Gesicht mit Diesel abwaschen, und die Pickel verschwinden wie von selbst.«
Als erprobtes Mittel gegen Erkältung schlägt der Radiodoktor Wodka mit Pfeffer und Honig vor. Auch weiß er, wie man das Geschlecht des zukünftigen Kindes vorprogrammieren kann und wie man sich immer richtig ernährt. Ein Lieblingsthema des Doktors ist die so genannte türkische Diät. Er lebt in einem russischen Getto in der Nähe vom Halleschen Tor und hat ständig einen türkischen Basar vor Augen. »Sie haben sich alle sicherlich schon einmal gefragt, wieso die türkischen Kinder viel robuster als die unseren aussehen, warum sie schneller sind und vor Energie nur so strotzen. Das ist eine Frage der Ernährung, auf dem türkischen Markt wird das jedem klar: Die Türken stopfen unheimlich viel Gemüse in sich hinein, wenig Fleisch, viele leichte
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