Russendisko
Produkte, eine vitaminreiche Diät also. Und wir Russen? Heute ein Schweinebraten, morgen ein Schweinebraten. So kommen wir nicht weiter, Kameraden!«
Der Radiodoktor wird auch von seinen Funkkollegen sehr geliebt und geachtet. Viele vertrauen ihm ihre tiefsten Geheimnisse an, bitten ihn um Rat. Sie wissen: Der Radiodoktor hilft auch dann, wenn alle anderen versagen. Neulich rief ein Mann in der Redaktion an. Er wollte mit niemandem reden außer dem Radiodoktor, der ihm am Telefon
beweisen musste, dass er es auch wirklich selbst war. »Ich habe Knochenkrebs, die deutschen Ärzte wollen mir ein Bein abhacken. Halten Sie das auch für notwendig, oder gibt es vielleicht eine Alternative?« »Es gibt immer eine Alternative«, erwiderte der Radiodoktor. »Essen Sie Blei!« »Was esse ich?« »Sie sollen Blei essen. Viel Blei«, wiederholte der Doktor und legte müde den Hörer auf. Noch ein Menschenleben gerettet.
Berliner Portr ä ts
Ein Freund kam zu mir und fragte, ob ich nicht zufällig einen Kosmetikchirurgen kennen würde und wie teuer eine kosmetische Operation kommen könnte. Er wolle sich ein neues Gesicht verpassen lassen. Ich wunderte mich, denn bisher war Sascha immer mit seinem Äußeren zufrieden gewesen. Ich empfahl ihm stattdessen einen Kinderpsychiater, den ich zufällig vor kurzem kennen gelernt hatte und erklärte ihm, das Einzige, was er an seinem Gesicht ändern solle, sei der Ausdruck - es wirke so tragisch. Sascha wurde wütend, weil ich sein Problem nicht ernst nahm und erzählte mir, was man ihm angetan hatte.
Seine neue Freundin schleppte ihn ständig zu irgendwelchen Partys. Einmal waren sie zu einer Vernissage eingeladen, es war die Ausstellungseröffnung einer Galerie in Mitte. Sascha wäre an dem Tag lieber zu Hause vor dem Fernseher geblieben, und dann wäre das alles auch gar nicht passiert. Der Raum war mit neugierigem Publikum brechend voll, es herrschte eine feierliche Stimmung. Der Künstler stellte sich persönlich vor. Alle tranken Wein und unterhielten sich über Kunst. Die Bilder - oder waren es Fotos? Daran konnte sich Sascha nicht mehr erinnern, nur dass sie deutlich die Homosexualität des Autors betonten. Es waren Schwänze, Hunderte von Schwänzen, die von allen Wänden freundlich winkten. Etwas angetrunken ließ sich Sascha auf ein mehrstündiges Gespräch mit dem Autor über Kunst ein, obwohl er als ausgebildeter Elektriker eigentlich keine Ahnung davon hatte. Vom Wein berauscht, interpretierte Sascha sogar einen Artikel aus dem Focus, eine Kulturbilanz des vergangenen Jahres, den er ausschnittweise beim Friseur gelesen hatte. Der Künstler hörte ihm aufmerksam zu und sagte
Dinge wie: »Sie erzählen sehr interessant«, »Sie haben einen frischen Blick«, und »Wir müssen uns unbedingt näher kennen lernen«. Dabei fasste er Sascha mehrmals zwischen die Beine. Am nächsten Tag war bereits alles wieder vergessen. Wenig später kam Saschas Freundin zu ihm und platzte fast vor Lachen. Sie hatte gerade mit ihrer Freundin im Cafe Historia am Kollwitzplatz Kakao getrunken und sich dort die neu bemalte Decke angesehen. Plötzlich hatte sie mitten auf dem Gemälde ihren Sascha entdeckt. Er war als Zeus verkleidet und schaute sie mit freiem Oberkörper frech von oben an. Das Gemälde stammte vom Schwanz-Künstler, der seinen Lebensunterhalt als Kneipen-Maler verdiente. Saschas Freundin war davon überzeugt, dass der Künstler sich richtig heftig in Sascha verknallt hatte und nun durch seine schöpferische Arbeit versuchte, seine Gefühle zu sublimieren. In der darauf folgenden Woche zog Sascha durch etliche Kneipen in seiner Nachbarschaft und entdeckte immer wieder sein Porträt: In einem mexikanischen Restaurant fand er sich als freundliche Kaktee mit Sombrero und eine Flasche Tequila in der Hand abgebildet, die ägyptische Königin an der Wand einer Szenekneipe hätte seine Zwillingsschwester sein können, und in einer neu eröffneten Sushi-Bar war er ein trauriger Fisch. Die Ähnlichkeit war tatsächlich frappierend. Am Ende wurde Sascha fast paranoid. Ihm schien, als würden alle Leute auf der Straße ihn erkennen und mit dem Finger auf ihn zeigen: Kuck mal, da läuft der Fisch aus der Sushi-Bar. Selbst der mindestens zehn Jahre alte Drache an der Eingangstür des China-Restaurants gegenüber hatte auf einmal etwas Saschaartiges in seinem Gesichtsausdruck. Ein anderer an seiner Stelle hätte sich geschmeichelt gefühlt, doch meinen Freund stürzte es in eine tiefe Krise.
Weitere Kostenlose Bücher