Russendisko
ich an der einfachen Aufgabe, einen handgeschriebenen Lebenslauf anzufertigen. Er sollte unkonventionell, knapp und ehrlich sein. Ich nahm einen Stapel Papier, einen Kugelschreiber und ging auf den Flur. Nach ungefähr einer Stunde hatte ich fünf Seiten voll geschrieben, war aber immer noch im Kindergarten. »Es ist doch nicht so einfach, mit dem handgeschriebenen Lebenslauf«, sagte ich mir und fing von vorne an. Am Ende hatte ich drei Entwürfe, die alle interessant zu lesen waren, aber im besten Falle bis zu meiner ersten Ehe reichten. Unzufrieden mit mir selbst ging ich nach Hause. Dort
versuchte ich, mir den Unterschied zwischen einem Roman und einem handgeschriebenen, unkonventionellen Lebenslauf klar zu machen.
Beim nächsten Mal scheiterte ich an einem anderen Problem. Ich sollte in einem mittelgroßen Quadrat Gründe für meine »Einreise nach Deutschland« angeben. Ich strengte mein Hirn an. Mir fiel aber kein einziger Grund ein. Ich bin 1990 absolut grundlos nach Deutschland eingereist. Abends fragte ich meine Frau, die für alles einen Grund weiß: »Warum sind wir damals überhaupt nach Deutschland gefahren?« Sie meinte, wir wären damals aus Spaß nach Deutschland gefahren, um zu sehen, wie es war. Aber mit solchen Formulierungen kamen wir doch nicht weiter. Der Beamte würde denken, dass wir die Einbürgerung auch nur aus Spaß beantragten und nicht aus ... »Wozu beantragen wir eigentlich die Einbürgerung?«, wollte ich meine Frau noch fragen, aber sie war schon zur Fahrschule gegangen, um ein paar alten Damen, die sich auf der Straße aufhielten, Angst einzujagen und reihenweise Fahrschullehrer verrückt zu machen. Meine Frau hat eine sehr unkonventionelle Fahrweise. Aber das ist eine andere Geschichte.
Ich gab dann vorsichtig »Neugierde« als Grund für unsere Einreise nach Deutschland an, das schien mir vernünftiger zu klingen als »Spaß«. Dann schrieb ich meinen Lebenslauf mit der Hand vom Computerbildschirm ab. Alles zusammen tat ich in eine Mappe und ging am nächsten Tag wieder zu Herrn Kugler. Es war noch sehr früh und dunkel, aber ich wollte unbedingt der Erste sein, weil der Beamte im Standesamt mehr als einen Ausländer pro Tag nicht schafft. Da sah ich die Vietnamesen: Sie gruben schon wieder! Ich trat näher. Zwei Männer standen mit frustrierten Gesichtern mitten in einem großen Loch, die Frau stand daneben und beschimpfte die beiden auf Vietnamesisch. Die Männer verteidigten sich träge. Ich sah in die Grube. Es war nur Wasser drin. Auf einmal
wurde mir klar, was hier vorging: Die Vietnamesen hatten vergessen, wo sie ihre Zigaretten vergraben hatten und suchen sie jetzt überall - vergeblich.
Plötzlich kam Wind auf, meine Papiere fielen aus der Mappe und landeten in der Grube: der sorgfältig handgeschriebene Lebenslauf, all die Gründe für meine Einreise nach Deutschland, der große Fragebogen mit meinen wirtschaftlichen Verhältnissen - alles flog in die nasse Grube. Ich werde wohl nie die Einbürgerung bekommen. Aber wozu auch?
Ende
Weitere Kostenlose Bücher