Russische Freunde: Kriminalroman
Bescheid sagen.«
»Hast du schon telefoniert?«, erkundigte er sich.
»Ich ruf gleich im Büro an.«
»Und Marja?«, fragte Korhonen. Ich befahl ihm, sich um seinen eigenen Telefonverkehr zu kümmern, den Tisch abzuräumen und zu spülen. Ich würde später essen.
Ich ging auf den Hof und setzte mich auf die Bank vor der Sauna. Ich erinnerte mich, wie Aljoscha und ich als Kinder dort gesessen und Saft getrunken hatten. Wir hatten Flanellschlafanzüge an und zählten die Kuckucksrufe. Mutter kam rotwangig und gut gelaunt aus der Sauna, ein Handtuch um den Kopf gewickelt. Vater blieb am längsten in der Dampfstube.
»Kärppä-Konzern«, meldete sich Oksana beim ersten Klingeln.
»Ich bin’s – Viktor«, begann ich und hörte einen Aufschrei, Gepolter, leises Klappern. »Oksana?«, rief ich alarmiert.
»Ich bin nur erschrocken. Die Knie sind mir weiche geworden, und das Telefon ist runtergefallen und der Stuhl weggerollt, als ich mich setzen wollte, und dann ist noch der Papierkorb umgekippt. Aber es ist nichts kaputtgegangen …«, legte Oksana los. Beim Einatmen rief sie alle Heiligen an.
»Ich wollte dir nur schnell sagen, dass jetzt alles in Ordnung ist. Morgen früh komme ich ins Büro, dann bringen wir die Geschäfte wieder in Gang«, versuchte ich sie zu beruhigen und das Gespräch zu beenden.
»Aber zuerst holst du doch Marja ab? Das arme Mädchen hockt immer noch auf dem Land. Aleksej ist in die Stadt zurückgekommen, aber Marja ist dort unter Kühen, Ziegen und allen möglichen … Farnen«, erklärte Oksana entrüstet.
Ich hatte keine Lust, über die Nuancen der modernen Landwirtschaft zu diskutieren, sondern versuchte, direkt zur Sache zu kommen.
»Hör mal, ich muss mich um zwei Baustellen und um viele andere wichtige Geschäfte kümmern. Und eine Wohnung muss ich mir auch suchen. Ich hole Marja später ab.«
»Vitja, nun sei nicht so klauserig«, protestierte Oksana.
»Es heißt knauserig, nicht klauserig«, belehrte ich sie.
»Na schön, Vitja, sei nicht knnauserig.« Oksana ließ sich nicht beirren. »Jetzt rufst du Marja an, und dann fährst du schwups zu ihr. Ich kümmere mich um das offis .«
Damit legte sie auf.
Ich starrte verwundert auf mein Handy. Marjamarjamarja, alle spielten dieselbe Platte.
Natürlich wollte ich Marja anrufen, ihre Nummer war auf meinem Handy gespeichert, mit Auslandsvorwahl und allem Drum und Dran, ich brauchte nur auf die Taste mit dem grünen Hörer zu drücken. Die Wellen würden vom Telefon zur Antenne rauschen, von dort zur nächsten und vielleicht zu einer sechsten, mit Lichtgeschwindigkeit durch das unfassbare Netz pulsieren. Oder bremste der Widerstand der Kabel auf irgendeiner Etappe den Vormarsch der Signale? Na, schnell genug würden sie trotzdem reisen und in Marjas Handy ankommen. Ich wusste nicht, welchen Klingelton sie momentan eingestellt hatte, und das machte mich ein wenig traurig.
Ich wollte ja mit ihr sprechen, ihr sagen, dass ich sie vermisst hatte, aber nicht anrufen konnte, es schlicht und einfach nicht fertiggebracht hatte. Ich hatte zu viel am Hals gehabt, Notwendiges und Schlimmes, aber davon würde ich ihr später erzählen. Als mein Handy plötzlich vibrierte, zuckte ich zusammen. Auf dem Display stand: Marja gsm ruft an .
»Was gibt’s, Marja?«, meldete ich mich. Auf die Schnelle fiel mir nichts Besseres ein.
»Hallo«, sagte Marja, klang vertraut und patent und warm. »Ich wollte nur mal fragen, ob du bald zurückkommst. Die Frau ist in Umständen, und der Mann treibt sich in der Weltgeschichte rum.«
Bevor ich fragen konnte, von welchen »Umständen« die Rede war, sprach Marja weiter.
»Ich meine bloß, es ist doch traurig, wenn ein Kind vaterlos zur Welt kommt. Du solltest dich wirklich besser kümmern, um deine Familie.«
Mich kümmern. Darauf verstehe ich mich, dachte ich.
Weitere Kostenlose Bücher