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Russische Freunde

Russische Freunde

Titel: Russische Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Lutz
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Bewerbungsdossier, das ich vor vielen Wochen verschickt hatte. Ich ersparte mir die Mühe, den Absagebrief zu lesen und legte die Bewerbungsunterlagen zu den anderen, bereit für einen Neuversand. Es war mir in der Zwischenzeit egal, wenn den Dossiers ihre Mehrfachverwendung anzusehen war. Mir kam die Idee, mit dem Geld eine Ausbildung zu machen. Drei anregende, mit neuen Inhalten gefüllte Studienjahre, eine Ausbildung zur Logopädin beispielsweise, anschliessend eine gut bezahlte Teilzeitstelle und ein ruhiges Leben.

14
    Vorläufig unternahm ich gar nichts. Ich putzte meine Wohnung, besuchte meine Mutter und genoss die schönen Herbsttage. Zwei Tage später wurde ich zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen, zum ersten Mal, seit ich einen Job suchte. Damit hatte ich nun gar nicht mehr gerechnet. Eine Stiftung Caris rief an, sie fanden meine Bewerbung interessant und wollten mich sehen. Das Telefon erreichte mich am späten Vormittag, mit der Bitte, um zwei Uhr zu ihnen zu kommen. Es war Wochen her, seit ich mich beworben hatte, und nun reichte die Zeit nicht mehr, um etwas über Caris in Erfahrung zu bringen. Immerhin schaffte ich es, vor dem Gespräch im Büro vorbeizugehen, sodass ich zum Bewerbungsgespräch im neuen Deux-Pièces erschien. Etwas zerknittert zwar. Die anwesenden Mitglieder des Stiftungsausschusses schienen trotzdem angetan von mir. Sie suchten, wie sie sagten, jemanden mit einem glaubhaften sozialen Engagement. Mir war nicht ganz klar, weshalb sie das bei mir vermuteten.
    Die Aufgabe bestand darin, mit den Stiftungsgeldern finanzierte soziale Projekte zu begutachten, zu begleiten und teilweise zu initiieren. Auch Projekte im Kulturbereich waren denkbar, solange sie gleichzeitig eine soziale Ausrichtung aufwiesen. Das klang richtig interessant. Ich war nur etwas irritiert, weil ich einem reinen Männergremium gegenübersass und weil ziemlich vage blieb, was genau sie unter einem sozialen Engagement verstanden. Und, dass ich eng mit den Kommunikations-und Marketingabteilungen des Stiftungspartners zusammenarbeiten sollte. Ich wollte mir mit der Frage nach dem Stiftungspartner keine Blösse geben, deshalb hatte ich auch am Schluss des Gesprächs noch keine Ahnung, wessen Geld ich eigentlich verteilen sollte.
    Trotzdem schwelgte ich auf dem Heimweg in Fantasien von meiner neuen Rolle als Verantwortliche für soziale Projekte bei Caris. Ich wollte mir die Träumereien nicht nehmen lassen und legte mich am frühen Abend mit einem Glas Bier und einer Zeitung in die Badewanne. Falls der Stiftungspartner von Caris sein Geld aus Rüstungsgeschäften bezog, würde ich das noch früh genug erfahren. Noch wusste ich nicht einmal, ob sie mich wirklich wollten.
    Ich sass in der Wanne und kämpfte mit nassen, verklebten Seiten. Deshalb blieb mein Blick an einer Danksagung hängen, normalerweise beachtete ich die Todesanzeigen nicht. Ein dreiundzwanzigjähriger Mann aus Konolfingen war vor einigen Tagen überraschend verstorben. Die Trauerfamilie bedankte sich herzlich für die zahlreiche Anteilnahme. Tobias Bucher, mein Blick blieb an der Anzeige hängen. Mit einem Tobias Bucher hatte Juri doch in den Tagen vor seinem Tod telefoniert. Ich selber hatte tagelang versucht, ihn zu erreichen, war aber immer nur auf seiner Combox gelandet. Weil er damals vielleicht schon tot war?
    Es half nichts, auch wenn die Temperatur draussen in der Nähe des Gefrierpunktes war. Ich musste ins Büro, weil mein Computer neuerdings dort stand. Mit noch nassen Haaren schwang ich mich aufs Velo und radelte in die Stadt. Das Bürogebäude lag verlassen da, ich lief zu Fuss die Treppen hoch, meine Schritte hallten. Über einen Bewegungsmelder ging jeweils, wenn ich das nächste Stockwerk erreichte, das Licht an. Oben angekommen, schloss ich mich ein.
    Innert Kürze fand ich im Internet einen Boulevardbericht über den Unfall: Der junge Mann hatte sich bei Wimmis von der Kanderbrücke gestürzt. Die Zeitung zitierte Polizeiermittlungen, die einen Streit zwischen einem Mann und einer Frau erwähnten. Ein Ehepaar, das in dieser Gegend unterwegs war, hatte streitende Stimmen gehört. Die Boulevardzeitung zimmerte daraus ein Beziehungsdrama und schliesslich sogar Zweifel am Selbstmord. Offensichtlich teilte aber die Polizei diesen Verdacht nicht, und auch die Zeitung nahm das Thema später nicht mehr auf. Andere Sensationsberichte lösten es ab.
    Ich googelte Tobias Bucher, wollte herausfinden, wer er war und was er gemacht hatte. Ich fand

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