Russische Freunde
vor der Bürotür herumtrieb. Ich hatte mir eingebildet, Zigarettenrauch zu riechen, der unter der Tür hereindrang, hinter der ich angespannt lag und auf Geräusche horchte.
Trotz Kopfschmerzen raffte ich mich auf und stieg hoch zu Juris Wohnung. Ich konnte mich auch dort von ihm verabschieden. Die Tür war noch immer nicht repariert, was inzwischen wohl egal war. Die Luft roch abgestanden. Juris Bett war ungemacht wie am Tag seines Verschwindens, und seine gebrauchten Kleider lagen herum. Das berührte mich unangenehm. Der muffige Geruch. Ich dachte an den Sarg, der schwebend im Erdloch verschwunden war. Ich öffnete alle Fenster, lüftete die Zimmer gut durch und begann aufzuräumen. Juris Kleider hob ich hoch und legte sie gefaltet auf einen Stuhl. Ich schüttelte Bettdecke und Kissen aus und machte das Bett. Der Boden war übersät mit dem Inhalt von ausgekippten Schubladen und Schränken. In der Küche stand dreckiges Geschirr in der Spüle. An den Tellern fand ich die verkrusteten Reste von Juris letztem Frühstück zu Hause, unappetitliche Eispuren auf Kaffeelöffel und Teller. Ich wollte nicht daran denken, wie Juri den Löffel in seinen Mund gesteckt hatte. Der Abfall musste raus, er stank. Ich warf einen Blick in den Wäschekorb, der im Bad stand und ebenfalls schlecht roch, liess ihn dann aber stehen. Alles, was mich an Juris Körper erinnerte, hatte jetzt etwas Ekliges an sich. Gleichzeitig berührte mich die Intimität mit Juri, die ich zu seinen Lebzeiten gar nicht gehabt hatte.
Nachdem ich Juris persönliche Spuren beseitigt hatte, besah ich mir die Unordnung, die die Einbrecher hinterlassen hatten. Ich fing damit an, die am Boden liegenden Papiere zu ordnen, obwohl ich nicht wusste, zu was meine Aktion gut war. Wer würde sich jetzt eigentlich um Juris Krankenkasse kümmern, und wen interessierten seine Notizen aus den Vorlesungen? Es war sehr still in der Wohnung. Die Geräusche aus dem Haus drangen ungewohnt gedämpft bis hier herauf. Ich kämpfte mich durch Papiere, stellte die am Boden verstreuten Bücher ins Gestell und verstaute alle übrigen Dinge in irgendwelchen Schubladen. Als ich das Gefühl hatte, fertig zu sein, setzte ich mich ans Klavier, aber ich spielte nicht.
Ich erschrak zutiefst, als plötzlich das Telefon läutete. Unsinnigerweise dachte ich zuerst, dass Juri anrief. Dann nahm ich ab, meldete mich aber nicht. Ich vernahm ein leises Rauschen in der Leitung, bis die Gegenseite auflegte. Ich realisierte, dass ich völlig durchfroren war und vor Kälte leicht zitterte. Juris Wohnung war seit Tagen nicht mehr geheizt worden.
Bei mir unten setzte ich mich neben dem Ölofen auf den Boden, mit dem Rücken an die Wand gelehnt. An wirklich kalten Tagen ist das mein Lieblingsplatz. Ich schloss die Augen, legte meine Stirn auf die Knie und dachte nach. Juri hatte viel Geld bei sich gehabt, und es war ein Einbruch in seine Wohnung verübt worden. Juri war in Leukerbad gestorben, vielleicht ermordet worden. Ein Bademeister und ein Tramper, den es nun ja erwiesenermassen wirklich gab, waren zu der Zeit im Bad anwesend gewesen, hatten aber meines Wissens keinen Grund, Juri umzubringen. Zwei junge sportliche Walliser interessierten sich für mich beziehungsweise für Juris Geld, und Perren trieb sich mit diesen Männern herum. Perren, der etwas zu wissen schien vom Geld. Juri hatte vermutlich für eine russische Firma namens AdFin Arbeiten erledigt, jedenfalls hatte er deren Unterlagen auf seinem Stick. Und Perren sass in ihrem Verwaltungsrat. Aber falls die Firma oder Perren in unlautere Geschäfte verwickelt waren, dann hatte ich keine Ahnung, in welche.
Was konnte ich noch tun? Tagelang bei AdFin herumstehen brachte nichts, was immer dort lief, es wurde nicht an den Schaltern abgewickelt. Lisa Bächlers Bescheid war klar gewesen, nichts Verdächtiges an den Dateien. Das Geld, das ich genommen hatte, war eine Spur gewesen. Wäre eine Spur gewesen, für die Polizei. Nicht für mich. Wie sollte ich Nachforschungen über eine Geldsumme betreiben, von der ich gar nichts wissen durfte. Ich verfluchte mich, ich hatte von dem Geld schon viel zu viel gebraucht.
Ich beschloss, einen Schlussstrich zu ziehen, ich konnte nichts mehr für Juri tun. Was das Geld anging, ich würde alles auf mich zukommen zu lassen, egal was. Sollten sie mir erst einmal nachweisen, dass ich es genommen hatte. So richtig wohl war mir damit natürlich nicht.
Als ich die Post holte, fand ich darin ein retourniertes
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