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Russische Freunde

Russische Freunde

Titel: Russische Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Lutz
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verdammt noch einmal, nicht das erste Mal, dass ich mich in eine dumme, aussichtslose Idee verrannte. Warum lernte ich nie etwas dazu?
    Als Aushilfskraft in Bibliotheken hatte ich mich nicht so schlecht gemacht, ich war schnell und mein Gedächtnis gut. Als Pianistin konnte ich einen Abend lang ganz gut unterhalten, genial war ich auch darin nicht. Fühlte ich mich neuerdings zur Agentin berufen? Ich dachte an das Geld, das ich genommen hatte. Was, wenn jemand wusste, dass Juri Geld im Garderobekasten deponiert hatte, was, wenn Rosa aussagte, dass sie mir den Schlüssel gegeben hatte? Die Möglichkeit, dass Juri sich das Geld ganz legal ausgeliehen hatte, war mir noch gar nicht in den Sinn gekommen. Was, wenn nicht nur Perren, sondern auch die Polizei schon längst von dem Geld wusste?
    Wie immer rief Petar im ungünstigsten Moment an, und wie immer war er zu aufdringlich. Er fragte, weshalb ich so schnell gegangen sei nach der Beerdigung. Petar hatte in einem Restaurant Plätze reserviert für ein gemeinsames Essen, in Erinnerung an Juri. Offensichtlich waren auch alle anderen sofort gegangen, bis auf eine Frau aus der Botschaft. Jetzt wollte Petar, dass ich zu ihnen ins Restaurant kam. Ich antwortete, ich sei im Büro, ich hätte zu tun. Er wollte unbedingt wissen, wo sich mein Büro befand, er wollte mich hier abholen. Ich sagte ihm, wo ich war und dass das Gebäude in einer Fahrverbotszone lag, was nicht ganz stimmte und ihn sowieso nicht davon abhielt, mich holen zu wollen. Kaum hatte ich ihm die Adresse verraten, bereute ich es. Eigentlich wollte ich das Büro als meinen Rückzugsort geheimhalten. Aber wenigstens gelang es mir, ihn schliesslich abzuwimmeln.
    Ich lag immer noch auf dem Boden, voller Selbstmitleid und Zweifel. Zum ersten Mal fielen mir die Geräusche aus den Büros nebenan auf. Das Telefon läutete ununterbrochen, leise drangen geschäftige Stimmen zu mir, Türen gingen, schnelle Schritte im Gang. Bei mir drinnen war alles still bis auf das leise Rauschen von ein wenig Wasser, das aus der undichten Spülung in die Toilette lief. Mir fiel nichts Besseres ein als liegenzubleiben. Ich hätte gerne geheult, aber ich war vor allem wütend. Irgendwann schlief ich ein.
    Als ich aufwachte, war es längst finster. Mein Arm war eingeschlafen, und ich fühlte mich steif. Ich machte das Licht an und sah auf die Uhr, elf Uhr in der Nacht. Im Raum war es schon wieder stickig und heiss, ich trat ans Fenster und öffnete es, sah der Fassade entlang nach unten. Das ganze Gebäude lag im Dunkeln, ausser mir war niemand mehr hier. Auf der Strasse herrschte Treiben, Leute auf dem Heimweg, Lachen, Gespräche. Die kühle Luft tat gut, ich hatte Kopfschmerzen. Im Tramhäuschen unter mir sass ein Mann und starrte zu mir herauf. Ich wollte nach Hause und schloss das Fenster.
    Ich stand schon mit dem Schlüssel in der Hand neben der Tür, als ich im Treppenhaus Geräusche vernahm. Der Lift fuhr hoch, kurz darauf kam jemand von oben die Treppe herunter bis zu meinem Stockwerk. Vor meiner Tür setzten die Tritte aus, an der Türklinke wurde gerüttelt, dann kurz geklopft. Ich verharrte still neben der Tür. Schliesslich bewegten sich die Schritte weiter, Stock für Stock nach unten. Irgendwann war es wieder still. Ein Securitas-Wächter hat das Haus kontrolliert, sagte ich mir, vor meiner Tür blieb er stehen, weil er das Licht sah. Als niemand auf sein Klopfen reagierte, ging er weiter, in der Annahme, dass das Licht irrtümlich brannte. Krampfhaft klammerte ich mich an dieses Bild, aber der kahle Schädel Grigori Gussews schob sich davor.
    Ich hatte keine Lust mehr, das Büro, zu verlassen und durch die Nacht heimzulaufen. Ausserdem war inzwischen das letzte Tram abgefahren. Ich legte alle Kleidungsstücke, die an der Schnur hingen, auf den Boden und richtete mir so etwas wie ein Bett ein. Jackenknöpfe stachen mich in die Schulter, und ein Reissverschluss kratzte mich an der Wange. Ich hatte es ja beim Kauf bereits geahnt, selbst die edelsten Stücke verwandeln sich in meinem Besitz in etwas Zerknittertes, Schmuddeliges. Statt einer Pistole hätte ich mir besser eine Zahnbürste gekauft, die fehlte mir jetzt wirklich.

13
    Energielos trank ich, an meinem Küchentisch sitzend, eine dritte Tasse Kaffee. Nach dem gestrigen Tag und der Nacht, die ich im Büro verbracht hatte, war ich müde und ausgelaugt. Ich hatte kaum richtig geschlafen und war in der Nacht mehr als einmal aufgeschreckt mit dem Gefühl, dass sich jemand

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