Russische Volksmaerchen
der Thüre ein Ritterroß wiehern, und Prinz Astrach wünschte dieses Schloß abzunehmen, und so ging er, um etwas zu suchen, womit er es abschlagen könnte, und er fand einen großen Stein von der Größe einer Klafter und einer halben Arschine, und diesen Stein nahm er mit in den Armen und fing an, das Schloß abzuschlagen; allein nicht blos das Schloß, sondern auch die Thüre zerschlug er mit diesem Steine. Und als die Thüre sich öffnete, sah er noch eine andere eiserne Thüre mit einem Schlosse; er zerschlug auf gleiche Weise auch diese Thüre, und hinter dieser Thüre waren noch zehn Thüren, und er erbrach sie alle mit diesem Steine und erblickte ein gutes Ritterroß und eine vollständige Ritterrüstung. Er ging zu dem Rosse und fing an, es zu streicheln, und sobald das Roß einen Reiter für sich hörte, stand es wie eingewurzelt. Und dann fing Prinz Astrach an, das Roß zu satteln, legte ihm den tscherkassischen Sattel auf, gab ihm die Trense von schemachanischer Seide, und führte es, nachdem er es angeschirrt hatte, aus diesem Stalle, setzte sich auf und ritt in das freie Feld, um das Roß zu versuchen. Er schlug es auf die straffen starken Hüften; das Roß wurde hitzig, trennte sich von der Erde, erhob sich höher als der stehende Wald und niedriger als die ziehende Wolke, Berge und Thäler ließ es zwischen den Füßen, kleine Flüsse bedeckte es mit dem Schweife und breite Flüsse übersprang es, und so ermüdete Prinz Astrach dieses gute Roß, daß der Schaum wie Seife von ihm floß.
Darauf sprach das gute Roß mit Menschenstimme zum Prinzen Astrach folgende Worte: »Nun, Prinz Astrach, du mein Reiter, ich habe gerade drei und dreißig Jahre dem verstorbenen Jeruslan Jeruslanowitsch gedient, dem starken, gewaltigen Ritter, und bin mit ihm in vielen Zweikämpfen und Schlachten gewesen, dennoch ermüdete ich noch nie so, wie heute, und nun bin ich bereit, dir bis an meinen Tod in Treue und Redlichkeit zu dienen.«
Da ging Prinz Astrach wieder auf jenen breiten Hof und ließ sein gutes Roß im Stalle, warf ihm weißen Waizen vor und goß ihm Quellwasser ein. Er selbst ging in den weißsteinernen Pallast, aß und trank sich satt und legte sich schlafen. Den folgenden Morgen stand er früh auf, sattelte sein gutes Ritterroß, setzte sich auf und reiste ab nach Aegypten zum Zaren Afor, um sich bei ihm um die Hand seiner Tochter, der schönen Zarewna Osida, zu bewerben. Nach einiger Zeit kam er dorthin und sagte von sich, er sei der Sohn des Königs Filon. Als Zar Afor dies vernahm, empfing er ihn überaus ehrenvoll und fragte ihn, in welcher Absicht er zu ihm gekommen sei. Darauf antwortete ihm Prinz Astrach folgendermaßen: »Großer Zar von allen ägyptischen Landen! ich bin nicht zu dir gekommen, um zu gastiren und zu schmausen, sondern ich bin gekommen, dich um die Gnade zu bitten, daß du mir deine liebenswürdige Zarentochter zur Gemahlin gibst.«
»Tapferer Ritter, Prinz Astrach,« antwortete ihm Zar Afor, »von Herzen gern will ich dir meine Tochter geben, aber leiste mir nur einen Dienst: der ungläubige Tatarzar nähert sich meinem Reiche und will mein Reich verheeren und plündern und meine Tochter schimpflich zum Weibe nehmen, mich aber und meine Gemahlin will er mit dem Tode bestrafen.«
Da sprach Prinz Astrach zum Zaren Afor: »Gnädiger Herr, Zar Afor, ich bin bereit, in den Kampf zu geben für den christlichen Glauben mit dem ungläubigen Zaren und eure Stadt vor unzeitigem Verderben zu schützen.«
Darüber freute sich der ägyptische Zar Afor und befahl ein großes Gastmahl zuzubereiten für den tapfern und schönen Prinzen Astrach. Als das Mahl begann, da verlobte sich Astrach, der Königssohn, mit Osida, der schönen Zarentochter, durch Ringe, und darauf aßen und tranken sie und ergötzten sich und vertrieben sich die Zeit mit allerhand Lustbarkeiten; dann begaben sie sich in das nächtliche Gemach.
Den folgenden Tag rückte an diese Stadt ein Heer; die busurmanische Macht, an Zahl drei Mal hundert tausend Mann. Zar Afor, welcher sehr darüber erschrak, nahm seine Zuflucht zum Prinzen Astrach und bat ihn, daß er für den christlichen Glauben streiten möchte. Prinz Astrach stand auf, schüttelte sich, sattelte sein gutes Ritterroß, ging in den Zarenpallast, betete zu Gott, verneigte sich nach allen vier Seiten, und fing an vom Zaren Afor, von seiner Gemahlin und der schönen Zarewna, seiner verlobten Braut, Abschied zu nehmen. Als er Abschied genommen hatte, ging er auf den
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