Russisches Abendmahl
ballt die klobigen Fäuste und sucht nach etwas zum Zerschmettern - »zum Teufel noch mal!«
Weniger als zwei Tage nach dem Verlust der Leda bin ich immer noch müde, jeder Atemzug schmerzt und erinnert mich an den eisigen Hauch des Todes in meinen Lungen. Diese Woche ist Maxims Büro eine Souterrainetage in der unverhältnismäßig großen Einkaufspassage, die die vielen Kirchen und anderen historischen Bauten im überlaufenen Kitaj Gorod Viertel östlich des Roten Platzes klein erscheinen lässt. Er ist regelrecht fanatisch. Der Tod seiner Männer bedeutet ihm nichts. Das Einzige was zählt, ist die Leda , anscheinend, obwohl er von Gemälden sprach. Ich frage mich, warum er sich für den Mignard interessieren sollte, wo es doch eigentlich nur um die Leda geht. Und ich frage mich, woher er weiß, dass Arkadij und Lipman ein Paar sind.
»Wie willst du diese Pisser finden?«, will er wissen.
»Ich habe einen Kontaktmann beim SVR.« Das stimmt, über den General. »Wir können sie sofort ausfindig machen, sobald sie einen Pass oder eine Kreditkarte benutzen, oder gegen die Verkehrsregeln verstoßen, egal was. Ich finde sie.«
Er knurrt, leise und tief. »Die Bilder werden nicht mehr da sein.«
»Dann holen wir uns eben das Geld von ihnen.«
»Schwachsinn! Glauben die kleinen Wichser vielleicht, sie kommen damit durch? Scheiße!«
Rasend vor Wut greift er nach einem Tisch voller Getränke und schleudert ihn durch den Raum. Tisch, Gläser, Karaffen und Eiskübel zerspringen, zerbrechen und spritzen über den Holzfußboden seiner Suite. Als nur noch das Tropfen zu hören ist, steht er schwer atmend da und sagt mit leiser, ruhiger Stimme:
»Finde diese Scheißkerle. Oder du zahlst.«
Ruhelose Tage vergehen, ohne eine Neuigkeit. Die kleinste Bemerkung bringt mich zum Rasen. Selbst Valja und Vadim gehen mir aus dem Weg. Tag und Nacht streife ich ziellos durch die Straßen, suche erfolglos Streit. Nach zwei Wochen selbst auferlegten Exils erhalte ich eine Vorladung vom General. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit bin ich am vereinbarten Treffpunkt. Folge schweigend demselben schmächtigen Hauptmann mit dem buschigen Schnurrbart durch den Tunnel unter dem Tainizkaja-Turm bis zum Waffenarsenal, wo der General auf mich wartet. Keine Umarmung diesmal.
»Lipman hat heute die ukrainische Grenze bei Uschhorod passiert«, sagt er. Er zeigt auf eine Reihe von Fotos, die auf dem Tisch ausgebreitet liegen. »So sah er aus.«
Die Bilder von der Überwachungskamera an der Grenze sind qualitativ schlecht, aber ausreichend. Lipman ist glatt rasiert. Sein Kiefer ist wie aus Granit gemeißelt. Der Unterlippenbart ist weg. Sein schütteres Haar ist dunkelbraun, fast schwarz gefärbt, so wie es aussieht im Hotelwaschbecken. Er trägt eine halbrunde verspiegelte Sonnenbrille, so eine, wie Sportler sie tragen.
Der General sieht kein einziges Mal hoch. »Ich habe die Fühler ausgestreckt. Wenn ich mehr weiß, kannst du die Verfolgung aufnehmen. Mach deinem Namen Ehre - hol ihn dir.« So wie ein Züchter stolz auf seine Tiere ist, war der General immer davon angetan, dass mein Name Wolf bedeutet.
»Jawohl, General.«
»Ach so, wegen Gromow.« Er spuckt den Namen förmlich aus.
»Ja, General?«
»Er ist sauer, dass sein kleiner Diamantenplan durchkreuzt wurde.«
»Ja?«
»Sieh zu, dass er keinen Unsinn macht.«
Später am Abend, um Mitternacht, erzeugen die Neonlichter in den belebten Straßen von Moskaus Süden die Illusion von Wärme, während ich auf dem Weg zu einem Treffen mit Leonid bin, einem Major der Artillerie a. D., der von seiner Soldatenrente lebt. Seine Wohnung liegt drei knarrende Stockwerke hoch in einem vierzehnstöckigen Gebäude aus der Stalin-Ära mit hohen Decken und breiten Fluren, was nicht ausreicht, um es ein glückliches Zuhause zu nennen. Sie ist das Vermächtnis der verstorbenen Mutter von Leonids Frau Lilia. Die bereits vor Jahren Verblichene lebt in den Aktenordnern Russlands wiederhergestellter Bürokratie weiter und sorgt so mit einer billigen fünfzig-Quadratmeter-Bleibe für ihre Tochter und den mittellosen Schwiegersohn.
Leonids ungekürzter schwarzer Schnurrbart kräuselt sich auf der Oberlippe und verleiht ihm einen dauerhaften Schmollmund. Auf dem Schlachtfeld einer eisigen tschetschenischen Schlucht gab er eines Tages sein Herz ab und musste es später gegen den rechten Arm und ein ausgestochenes, glücklicherweise hinter einer schwarzen Augenklappe verborgenes Auge auslösen. Den
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