Russisches Abendmahl
Allas Hacker machen durchschnittlich fünfundzwanzigtausend Dollar die Woche. Einen Teil davon zwacke ich für meinen persönlichen Gebrauch ab, der Rest geht an den General.
Ich rede ein paar Minuten leise mit Alla, vergleiche ihre Zahlen mit denen, die ich kürzlich von Nabi bekommen habe, und fahre dann zurück ins Loft für ein paar Stunden bitter nötigen Schlaf.
Als ich aufwache, rufe ich als Erstes Gromow auf dem Handy an, aber anscheinend wurde seine Nummer geändert. Ich streife durch verrottete, neblige Straßen, ohne auch nur einem seiner Männer zu begegnen. Schnappe mir eine schrottreife Honda 250 aus unserem Bestand und schlängele mich zwischen Autos und Fußgängern durch zu seinem Versteck.
Die Glasfront der Jaguarniederlassung ist repariert worden. Russische Teenager in amerikanischen Turnschuhen bewundern die kurvenreichen Wagen dahinter. Sie pressen die Nasen gegen die Scheibe, zeigen mit dem Finger auf sie und schnattern aufgeregt. Gromow pflegt das Image eines Filmgangsters und füttert es mit ausgewählter Kleidung und einstudiertem Verhalten. Mit wenigen Ausnahmen, wie Valja, sind die russischen Jugendlichen von heute dümmer als ihre Vorgänger, die sich gerade mal zwischen Krieg und unmenschlicher Arbeit entscheiden konnten. Heutzutage lassen sie sich vom oberflächlichen Glamour eines in Wirklichkeit viel zu kurzen Lebens blenden, das darin besteht, für Männer wie Gromow und Maxim Drogen, Waffen und Menschenleben zu verkaufen.
Ich kann nicht ohne Vorwarnung in Gromows Höhle marschieren, also kaufe ich mir ein Eis und warte und denke über die traurige Wahrheit nach, dass ich im Grunde nichts anderes tue als er. Meine Gründe mögen andere sein, und außerdem sind Pornographie und kleinere Straftaten vielleicht nicht ganz so schlimm wie Zwangsprostitution und Sklaverei, aber ein verschwendetes Leben ist es trotzdem, egal was man damit erkauft. Meine Unternehmen missbrauchen ihr Leben und ihre Jugend, um den Reichtum umzuverteilen, von ihrer Generation an die sich abrackernde, Kriege führende und leidende Generation des Generals.
Gromows silberner Mercedes SUV kommt aus einer Seitenstraße gerauscht und holt mich aus meinen Tagträumen. Ich schmeiße die Honda an und folge ihm in Richtung Süden, durch kilometerweit verstopfte Straßen und Viertel, die immer übler werden. Aus dem Dunst wird heller, treibender Nebel. Wir kommen in ein Labyrinth deprimierender Miniaturwelten - Lager aus gestampftem Blech, Holz, Pappe und Schlamm, errichtet von Flüchtlingen aus politisch unruhigen Regionen wie Belarus, der Ukraine, Usbekistan, Kasachstan und zu vielen anderen Gegenden, um sie aufzuzählen. Ich nehme aber an, dass die schrecklichen Lebensbedingungen dort immer noch erträglicher sind als die in den Internierungslagern, in denen zu Stalins Glanzzeiten Millionen ethnischer Exilanten saßen. In Russland wird Fortschritt anhand der schleichenden Reduzierung des kollektiven gesellschaftlichen Elends gemessen. Meine Honda rollt unbemerkt im Windschatten des Mercedes, der die elende Menge teilt, wie einst Moses das Meer.
Irgendwann endet die gepflasterte Straße. Die Honda wirbelt durch Schlamm vorbei an ärmlichen Hütten und Ständen mit von Fliegenlarven befallenem Fleisch. Als der SUV schließlich vor einem notdürftigen Holzbau zum Halten kommt, bin ich von oben bis unten mit Dreck bespritzt.
Ich fahre an die Seite, die Füße auf dem Boden, und lasse den Motor aufheulen, um der Kakophonie um mich herum das Bellen der Honda beizumischen. Wir sind in einem Moslemviertel - tadschikische Flüchtlinge, vermute ich. Turbane, farbenprächtige Kaftane, Burkas und die gesenkten Blicke der Frauen erwecken in mir den Eindruck, in eine fremde Welt geraten zu sein. Gromows SUV steht mit laufendem Motor in der Menge. Ein dunkelhäutiger Junge bietet mir Fladenbrot von einer Holzplatte an. Sein Mund ist verunstaltet, die Oberlippe hochgezogen, als würde er ständig die Zähne fletschen. Ich schicke ihn weg und sehe im selben Moment Maxim aus dem Haus kommen, umgeben von Bodyguards wie ein Schlachtschiff von einer Flottille. Der SUV neigt sich zur Seite, als er zu Gromow steigt. Sie reden länger als drei Minuten. Dann stemmt sich Maxim aus dem Wagen, und Gromows Fahrer fährt langsam an, um den großen Boss nicht mit Matsch zu bespritzen.
Ich folge ihm inmitten eines Schwarms von Fahrrädern, Fußgängern, umherflitzenden Rollern und anderen Motorrädern, aber unerklärlicherweise scheinen
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