Russisches Abendmahl
Zusammenarbeit brauchen sie nur so lange, bis wir an einem stillen Plätzchen sind, wo man unsere Leichen nicht so schnell findet. Ich muss jetzt handeln.
Ich bin immer noch im Kanal, vorn neben dem schwankenden Bug. Die Sig ist wasserdicht verpackt und kommt nicht in Frage. Das Messer auf meinem Rücken reicht nicht für zwei. Zusammen schaffen wir sie vielleicht beide, aber wenn nicht, ist das Wasser unsere einzige Chance.
Valja versteht mich. Das sehe ich an ihrem hochgezogenen Mundwinkel und dem leicht seitwärts geneigten Kopf. Sie kennt mich, und sie weiß, wie wir hier rauskommen.
Im Zeitlupentempo packt sie mit verbundenen Händen den Lauf der Flinte, so beiläufig, dass Arkadij nichts davon mitbekommt, bis sie mit ungeahnter Kraft einen Satz nach hinten macht. Die Pumpgun springt ihm leichter aus den Händen, als sie erwartet hatte. Scheppernd landet sie unter den hölzernen Sitzplanken.
All das registriert mein Unterbewusstsein, während ich mit einer Hand nach dem Messer greife, mich mit der anderen am Dollbord festkralle und so weit wie möglich aus dem Wasser stoße. Ich schleudere das Messer auf Lipmans weißen Oberkörper, der wie eine sich häutende Schlange aus dem Neopren steigt.
Ob es die Bewegung des Bootes in der leichten Dünung ist, das Timing meines letzten Flossenstoßes oder einfach ein schlechter Wurf, ich kann es nicht sagen. Das Messer streift die herunterhängenden Falten des Taucheranzugs und wirbelt über Bord. Lipman greift nach seiner Pistole.
Wir haben unser Pulver verschossen. Jetzt können wir nur noch sehen, dass wir lebend hier raus kommen.
Valja durchschneidet das Wasser mit einem sauberen Sprung, ich folge ihr und versuche, ihr unter Wasser die Fesseln zu lösen. Ich weiß, dass sie nicht schießen werden, sie haben Angst, dass der Lärm Aufmerksamkeit erregt, aber sie könnten versuchen, uns mit den Motorblättern in Stücke zu reißen. Während ich zum zweiten Mal das Fallgitter öffne, teilen wir uns das Mundstück. Über uns treibt die rotierende Schraube das Boot durch den Kanal. Schnell schwimmen wir in das sichere Tunnelsystem.
12
Als wir glauben, unseren Unterschlupf auf dem unterirdischen Anleger verlassen zu können, ist es Tag. Das endlose Warten auf die schützende Dunkelheit scheint durch den Verlust der Leda und Valjas aufgeplatzte Prellungen unerträglich. Ich halte ihren zitternden Körper an mich gedrückt.
»Tarik?«
»Tot«, sagt sie.
»Wer hat ihn getötet?«
»Lipman. Vorletzte Nacht.« Sie fährt mit dem Daumen am Hals entlang. »Ausgeblutet wie ein Huhn.«
»Was haben sie mit dir gemacht?«
»Arkadij gar nichts, und Lipman ist kein guter Folterer.« Das ist alles, was sie dazu sagt.
Später erklärt sie, sie sei nicht hungrig, da in der Nacht zuvor ein paar Bissen Fleisch übrig geblieben seien. Ich habe seit fast zwei Tagen nichts gegessen. So wie ich mich ansonsten fühle, spielt das kaum eine Rolle.
Wir folgen dem Weg entlang der grün leuchtenden Linien, die ich beim ersten Mal gesprüht habe, erkunden die anderen Durchgänge auf der Suche nach einem Ausgang, stoßen aber immer wieder nur auf verschlossene Metalltüren wie die, die Lipman in der ersten Nacht geöffnet hat. Es gibt nur einen Weg nach draußen, wenn wir nicht gefasst werden wollen.
Als wir zum Anleger zurückkehren, tauche ich unter und hole Kamils Ausrüstung aus dem Versteck. Die Sauerstoffflasche ist nicht mehr da, und der Neoprenanzug und die Flossen sind Valja zu groß, aber wenigstens die Taucherbrille lässt sich einstellen. Der Pegel auf meiner Sauerstoffflasche zeigt nur noch eine kostbare kleine Reserve an. Valja wird sie brauchen, wenn wir morgen tauchen. Ich muss versuchen, mit einem kräftigen Zug so weit zu kommen, wie es geht.
Nachdem wir die Ausrüstung durchgesehen haben, sitzen wir dicht aneinander gepresst, um uns zu wärmen, und reden über unwichtige Dinge. Wir versuchen, nicht daran zu denken, was geschehen ist und was für Konsequenzen sich möglicherweise für uns daraus ergeben.
Als um Mitternacht meine Uhr piept, schnalle ich Valja die fast leere Sauerstoffflasche auf den Rücken und hoffe, dass es für ein paar Atemzüge reicht. Ohne den Neoprenanzug wird ihr Körper schnell auskühlen und Sauerstoff verlieren, und das bedeutet, dass sie langsamer vorankommt.
Wir schwimmen los, bis ihre Haare die Decke berühren. Ihre Lippen sind blau vor Kälte. Sie presst sie auf meine. Sie klebt an mir. Ihre stahlgrauen Augen gucken wild
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