Russisches Poker
seinem unsichtbaren Opponenten.
Aber sich ausschließlich auf offizielle Papiere zu verlassen, und seien sie noch so geheim, stand nicht dafür. Ermußte seine Informationen über diesen Herrn Fandorin vervollständigen und »mit Leben erfüllen«.
Die »Erfüllung mit Leben« dauerte drei Tage.
In dieser Zeit tat Momus folgendes.
Er verwandelte sich in einen stellungsuchenden Lakaien und freundete sich mit Prokop Kusmitsch an, dem Hausmeister von Fandorins Vermieter. Sie tranken zusammen Monopolschnaps, aßen gesalzene Reizker dazu und redeten über dies und das.
Er besuchte das Korsch-Theater und beobachtete die Loge, in welcher der Beamte für Sonderaufträge und die Dame seines Herzens, die entlaufene Gattin des Petersburger Kammerherrn Opraxin, saßen. Er blickte nicht auf die Bühne, wo ausgerechnet die Komödie »Der Sonderauftrag« des Herrn Nikolajew gespielt wurde, sondern ausschließlich zu Fandorin und seiner Flamme. Dabei kam ihm trefflich das Zeissglas zustatten, das wie ein Operngucker aussah, aber zehnfach vergrößerte. Die Gräfin war natürlich bildschön, doch nicht nach Momus’ Geschmack. Er kannte diese Sorte Frauen und zog es vor, sich aus der Ferne an ihrer Schönheit zu weiden.
Mimi hatte auch ihren Beitrag geleistet. Als Modistin getarnt, hatte sie sich mit dem Zimmermädchen der Gräfin, Natascha, bekannt gemacht und ihr ein neues Sergekleid zu einem günstigen Preis verkauft. Dann hatten sie Kaffee und Kuchen genossen und über Frauensachen geschwatzt und getratscht.
Am Ende des dritten Tags war der Plan für den Gegenschlagfertig. Er würde raffiniert und elegant ausfallen – wie es sich gehörte.
Die Operation wurde für Sonnabend, den 15. Februar, anberaumt.
Die Kampfhandlungen entfalteten sich entsprechend der ausgearbeiteten Disposition. Um dreiviertel elf, als in den Fenstern des Seitenflügels auf der Kleinen Nikitskaja die Stores aufgezogen wurden, brachte der Postbote ein dringendes Telegramm auf den Namen der Gräfin Opraxina.
Momus saß in einer Kutsche schräg gegenüber dem Tor des Grundstücks und blickte auf die Uhr. Hinter den Fenstern des Seitenflügels war Bewegung zu bemerken, und es tönten wohl sogar Frauenschreie. Dreizehn Minuten nach Eingang der Depesche kamen Herr Fandorin und die Gräfin aus dem Haus. Hinter ihnen trippelte, ein Kopftuch umbindend, eine rosige junge Frau, das erwähnte Zimmermädchen Natascha. Madame Opraxina war ganz echauffiert, und der Hofrat redete, offenbar beruhigend, auf sie ein, doch die Gräfin wünschte sich nicht zu beruhigen. Nun, man konnte Ihre Erlaucht verstehen. Das Telegramm lautete: »Addy, ich komme mit dem Elf-Uhr-Zug in Moskau an und fahre gleich zu Ihnen. So kann es nicht weitergehen. Entweder kommen Sie mit mir, oder ich erschieße mich vor Ihren Augen. Ihr um den Verstand gebrachter Toni.«
So nannte die Gräfin, nach Informationen des Zimmermädchens, ihren zwar verlassenen, doch rechtmäßigen Gatten, den Geheimrat und Kammerherrn Graf Anton Apollonowitsch Opraxin. Natürlich hatte Monsieur Fandorinsofort beschlossen, die Dame vor der unerfreulichen Szene zu bewahren. Bei der Evakuierung begleitete er sie selbstverständlich, zumal ihre Nerven angegriffen waren und sie langwährenden Trostes bedurfte.
Als der auffällige Fandorinsche Schlitten mit der warmen Fußdecke aus amerikanischem Bärenfell um die Ecke gebogen war, rauchte Momus in Ruhe seine Zigarre zu Ende, prüfte dann im Taschenspiegel, ob seine Maskierung in Ordnung war, und stieg genau um elf Uhr zwanzig aus der Kutsche. Er trug die Montur eines Kammerherrn mit Schärpe und Stern, einem Degen und einem Dreispitz mit Federbusch. Für jemanden, der soeben dem Zug entstiegen war, sah das gewiß sonderbar aus, aber es sollte ja den asiatischen Diener beeindrucken. Vor allem Tempo und Nachdruck. Nicht zur Besinnung kommen lassen.
Momus durchschritt entschlossen das Tor, überquerte halb laufend den Hof und hämmerte lautstark gegen die Tür des Seitenflügels, obwohl er die Klingel sehr wohl sah.
Ihm öffnete Fandorins Kammerdiener. Der Japaner Masa war seinem Herrn grenzenlos ergeben. Dieses Wissen wie auch das am Vorabend studierte Buch des Herrn Goschkewitsch über die japanischen Sitten und Gebräuche halfen Momus, sein Vorgehen festzulegen.
»Ah, Monsieur Fandorin!« brüllte Momus den schlitzäugigen Knirps an und rollte blutgierig die Augen. »Räuber fremder Ehefrauen! Wo ist sie? Wo ist meine vergötterte Addy? Was haben Sie mit ihr
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