Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Russisches Poker

Russisches Poker

Titel: Russisches Poker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
Vom Netzwerk:
salutierte, indem er die Hand an die graue Lammfellmütze hob. Fandorin schritt durch den großen Raum, den die Barriere in zwei Hälften teilte. Anissi hatte sich die Einrichtung der Lotterie schon beim erstenmal angesehen und schaute nun sofort neiderfüllt auf die rotierende Trommel. Und auf das nette Fräulein, das eben einem traurigen Studenten eine Blume ans Revers heftete und etwas Tröstliches zu ihm sagte.
    Der Hofrat besah die Trommel sehr aufmerksam und richtete dann sein Augenmerk auf den Vorsitzenden, einen gut aussehenden glattrasierten Herrn, der eine Jacke mit weißem Stehkragen trug. Der Herr langweilte sich sichtlich, er gähnte sogar und hielt taktvoll die Hand vor den Mund.
    Fandorin tippte mit dem Finger im weißen Handschuh auf das Schildchen »Herren, die ein rosa Los kaufen, werden außer der Reihe bedient« und fragte: »Mademoiselle, kann ich ein rosa Los haben?«
    »Aber ja, natürlich, Sie sind ein guter Christ.« Das Fräulein beschenkte den Spender mit einem strahlenden Lächeln, schob ein herausgerutschtes goldenes Löckchen zurück unters Kopftuch und nahm von Fandorin den buntschimmernden Fünfzigrubelschein entgegen.
    Anissi beobachtete mit angehaltenem Atem, wie der Cheflässig mit zwei Fingern das erstbeste rosa Los aus der Trommel zog und auseinanderfaltete.
    »Was, eine Niete?« rief das Fräulein enttäuscht. »Ach, ich war so sicher, daß Sie gewinnen! Der letzte Herr, der ein rosa Los nahm, hat einen richtigen Palazzo in Venedig gewonnen! Mit eigenem Anlegesteg für Gondeln und einer Kutschenauffahrt. Vielleicht versuchen Sie es noch einmal, mein Herr?«
    »Mit Kutschenauffahrt, was Sie nicht sagen.« Fandorin schnalzte mit der Zunge und betrachtete das Bildchen auf dem Los: Ein geflügelter Engel faltet betend die Hände unter einem Lappen, der wohl das Grabtuch Christi darstellen sollte.
    Fandorin wandte sich dem Publikum zu, lüpfte höflich den Zylinder und verkündete mit lauter, entschlossener Stimme: »Meine Damen und Herren, ich bin Erast Petrowitsch Fandorin, Beamter für Sonderaufträge bei Seiner Erlaucht dem Generalgouverneur. Diese Lotterie wird hiermit geschlossen wegen des Verdachts auf Betrug. Schutzmann, Sie räumen sofort den Saal und lassen niemanden mehr herein!«
    »Zu Befehl, Euer Hochwohlgeboren!« blaffte der Schutzmann mit dem rötlichen Schnauz, er zweifelte nicht im geringsten an den Vollmachten des so resolut auftretenden Herrn.
    Der Schutzmann war seiner Aufgabe voll gewachsen, er fuchtelte mit den Armen, wie um Gänse zu scheuchen, und trieb hurtig die aufgeregt schnatternden Kunden vor die Tür. Kaum hatte er gebrüllt: »Gehen Sie, gehen Sie, Sie sehen doch, was hier los ist!«, hatte sich der Raum auch schon geleert,und der Ordnungshüter baute sich stramm an der Tür auf, bereit, den nächsten Befehl auszuführen.
    Der Hofrat nickte zufrieden und drehte sich zu Anisssi um, der nach dieser überraschenden Wendung der Ereignisse mit hängendem Unterkiefer dastand.
    Der ältere Herr – Pater oder Pastor, wer wollte das wissen – war auch nicht ganz bei sich, er hatte sich hinter seinem Schreibtisch aufgerichtet und klapperte mit den Augen.
    Dafür zeigte das bescheidene Fräulein ein ganz erstaunliches Benehmen.
    Sie zwinkerte plötzlich mit ihren tiefblauen Augen hinterm Kneifer Anissi zu, lief leichtfüßig durchs Zimmer und schwang sich mit dem Ruf »hoppla« auf das breite Fensterbrett. Sie drehte den Griff und stieß das Fenster auf. Frische und Kälte wehte herein.
    »Halt sie!« schrie Fandorin.
    Anissi sauste hinter dem flinken Mädchen her. Er streckte die Hand aus, um ihren Rockschoß zu packen, doch seine Finger glitten nur über die glatte Seide. Das Fräulein sprang hinaus, und Tulpow, der mit dem Bauch auf das Fensterbrett fiel, sah, wie sich ihre Röcke im freien Fall graziös blähten.
    Die Beletage lag hoch, aber die wagemutige Springerin landete mit katzenhafter Geschicklichkeit im Schnee und fiel nicht mal hin. Sie drehte sich um, winkte Anissi zu, schürzte den Rocksaum (darunter kamen schlanke Beine in hohen Überschuhen und schwarzen Strümpfen zum Vorschein) und rannte das Trottoir entlang. Im nächsten Moment entschwand sie aus dem Lichtkreis der Laterne und löste sich in der rasch zunehmenden Dämmerung auf.
    »O Gott!« Anissi erklomm das Fensterbrett und bekreuzigte sich. Er wußte ganz genau, daß er gleich unten aufschlagen würde; gut noch, wenn er sich nur das Bein brach und nicht das Rückgrat. Was sollte dann

Weitere Kostenlose Bücher