Russisches Poker
herkömmlichen Lotterien, die natürlich auch Gaunerstücke sind, zahlt der Kunde erst mal Geld, dann muß er auf die Ziehung warten. Doch an der kann er nicht teilnehmen. Warum soll er aufs bloße Wort glauben, daß alles mit rechten Dingen zugeht? Und wer wartet auch schon gern? Die Menschen sind ungeduldig.
Bei uns dagegen zieht man mit eigenen Händen das hübsche, knisternde Los – die Fahrkarte ins Paradies. Ein Engelchen lockt dich: Zweifle nicht, du Einfaltspinsel. Wassteckt unter dem verführerischen Bildchen außer dem reinen Vergnügen? Pech gehabt? Macht nichts, versuch’s noch mal!
Die Details sind natürlich wichtig. Nicht einfach eine wohltätige Lotterie soll es sein, nein, eine europäische, evangelische. Die Orthodoxen mögen keine Andersgläubigen, aber in Gelddingen vertrauen sie ihnen mehr als den eigenen Leuten, das ist sicher. Sich nicht irgendwo etablieren, sondern im Vormundschaftsrat der Fürsorge. Und in der Polizeizeitung annoncieren. Die Moskauer lesen sie gern, erstens, und zweitens, wer argwöhnt hier schon ein unsauberes Spiel? Und am Eingang ein Schutzmann.
Momus riß einen Lockenwickler ab, zog eine Strähne von der Stirn zu den Augen – die rötliche Färbung war fast weg. Einmal noch waschen, und fertig. Schade, daß die Haarspitzen vom häufigen Färben ausbleichten und brachen. Aber das gehörte zum Berufsrisiko.
Wieder quietschte die Tür, und Mimi sagte rasch: »Katerchen, nicht schmeißen, man bringt, was du verlangt hast.«
Momus fuhr hoch.
»Wer? Sljunkow?«
»Ich weiß nicht, so ein Ekliger, mit glatt zurückgekämmtem Haar. Den du zu Weihnachten beim Wint ausgenommen hast.«
»Soll reinkommen.«
Wenn Momus sich auf ein neues Territorium begab, suchte er sich als erstes nützliche Leutchen. Wie auf der Jagd: Man kommt in einen wildreichen Waldesgrund – und orientiert sich, merkt sich Pfade und bequeme Verstecke,studiert die Gepflogenheiten der Tiere. So hatte Momus auch in Moskau seine Informanten in verschiedenen Schlüsselpositionen. Solche wie Sljunkow, ein Mann auf unbedeutendem Posten, Schreiber in der Geheimabteilung der Kanzlei des Generalgouverneurs, doch von großem Nutzen. Bei der Geschichte mit dem Engländer hatte er gute Dienste geleistet, und jetzt kam er eben recht. Ihn in die Hand zu bekommen war kinderleicht gewesen: Sljunkow hatte dreieinhalb Riesen an Momus verspielt und riß sich jetzt ein Bein aus, um seinen Schuldschein zurückzuerhalten.
Herein kam ein glattgeleckter Mann mit Plattfüßen, ein Mäppchen unterm Arm. Er sprach halb flüsternd und blickte dabei zur Tür: »Antoine Bonifatjewitsch« ( Momus hatte sich als Franzose ausgegeben), »um Gottes willen, mir droht Zwangsarbeit, machen Sie schnell, richten Sie mich nicht zugrunde! Mir zittern die Nerven!«
Momus machte wortlos ein Zeichen: Leg die Mappe auf den Tisch, und winkte: Warte draußen.
Die Mappe trug folgende Aufschrift:
Beamter für Sonderaufträge
ERAST PETROWITSCH FANDORIN:
Links oben war ein Stempel:
Verwaltung des Moskauer
Generalgouverneurs.
Geheimer Schriftverkehr.
Handschriftlich stand darunter: Streng geheim.
Auf der Innenseite des Aktendeckels klebte ein Verzeichnis der Dokumente:
Dienstliste
Vertrauliche Charakteristik
Persönliche Informationen
Na, wollen doch mal sehen, was das für einer ist, dieser Fandorin, der uns jetzt in die Suppe spuckt.
Eine halbe Stunde später verließ der Kanzleischreiber auf Zehenspitzen das Zimmer, die Geheimmappe unterm Arm und einen quittierten Wechsel über fünfhundert Rubel in der Tasche. Für seinen Judasdienst hätte er verdient, alle seine Wechsel zurückzubekommen, aber das würde wohl noch dauern.
Momus ging nachdenklich im Arbeitszimmer auf und ab und spielte zerstreut mit der Quaste seines Hausmantels. So einer bist du also! Entlarver von Verschwörungen, Meister der geheimen Ermittlungen. Mit Orden und Medaillen dekoriert wie eine Champagnerflasche. Träger des Chrysanthemenordens, na toll. Hast dich auch in der Türkei und in Japan hervorgetan und mit Sonderaufträgen Europa bereist. Tja, ein ernst zu nehmender Herr.
In der Charakteristik stand: »Außergewöhnlich befähigt für heikle und geheime Missionen, besonders solche, die kriminalpolizeiliche Deduktion erfordern.« Hm. Man müßte wissen, wie es der Herr Hofrat fertiggebracht hatte, gleich am ersten Tag die Lotterie auseinander zu deduzieren.
Na warte nur, du japanischer Wolf, wir werden ja sehen, wer wem den Schwanz einklemmt, drohte Momus
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