Russisches Poker
Herrn Tulpow den M-Mantel ab.«
Anissi trat schüchtern in den Salon. Er wagte nicht, Umschau zu halten, sondern setzte sich bescheiden auf dieKante eines mit blauem Samt bezogenen Stuhls und riskierte erst nach einiger Zeit verstohlene Blicke.
Das Zimmer war interessant: An allen Wänden hingen bunte japanische Gravüren, die, wie Anissi wußte, derzeit sehr in Mode waren. Ferner sah er Papierrollen mit Hieroglyphen und auf einem lackierten Holzsockel zwei Krummsäbel, der eine länger, der andere etwas kürzer.
Der Hofrat raschelte mit den Papieren und markierte ab und zu etwas mit seinem goldenen Bleistift. Seine Gattin stand, ohne die beiden Männer zu beachten, am Fenster und blickte gelangweilt in den Garten.
»Mein Lieber«, sagte sie auf französisch, »warum fahren wir nie irgendwohin? Das ist doch so nicht auszuhalten. Ich will ins Theater, ich will auf einen Ball.«
»Sie haben doch selber g-gesagt, Addy, das schickt sich nicht«, antwortete Fandorin und blickte von seinen Papieren auf. »Wir könnten Ihre Petersburger Bekannten treffen. Das wäre peinlich. Mir kann es ja egal sein.«
Er warf einen Blick auf Tulpow, der errötete. Schließlich konnte er nichts dafür, daß er, wenn auch mehr schlecht als recht, französisch verstand.
Also war die schöne Dame keineswegs Madame Fandorina.
»Ach, verzeih, Addy«, sagte Fandorin auf russisch. »Ich habe dir noch gar nicht Herrn Tulpow vorgestellt. Er arbeitet in der Gendarmerieverwaltung. Und dies ist die Gräfin Ariadna Arkadjewna Opraxina, eine gute B-Bekannte.«
Es dünkte Anissi, daß der Hofrat ein wenig druckste, als wüßte er nicht recht, wie er die Schöne bezeichnen sollte. Aber das lag vielleicht nur daran, daß er leicht stotterte.
»O Gott!« seufzte Gräfin Addy mit Leidensmiene und verließ eilig das Zimmer.
Gleich darauf erscholl ihre Stimme: »Masa, laß sofort meine Natalia in Ruhe! Marsch in dein Zimmer, du Schlampe! Das ist ja nicht auszuhalten!«
Fandorin seufzte auch und vertiefte sich wieder in seine Papiere.
Da ertönte die Klingel, aus der Diele kamen gedämpfte Stimmen, und dann galoppierte der Asiat in den Salon.
Er trompetete etwas in einer unverständlichen Mundart, aber Fandorin hieß ihn mit einer Geste schweigen.
»Masa, ich habe dir gesagt, wenn Gäste da sind, sollst du nicht japanisch mit mir reden, sondern russisch.«
Anissi, zum Gast befördert, reckte sich und starrte den Diener neugierig an: Kunststück, ein echter Japaner!
»Von Wedissew-san«, meldete Masa kurz.
»Von Wedistschew? Frol G-Grigorjewitsch? Ich lasse bitten.«
Wer Frol Wedistschew war, wußte Anissi: eine bekannte Persönlichkeit, genannt die Graue Eminenz. Von klein auf diente er dem Fürsten Dolgorukoi, zuerst als Bursche und Lakai und in den letzten zwanzig Jahren als persönlicher Kammerdiener, seit der Fürst die alte Residenzstadt in seine zupackenden Hände genommen hatte. Man konnte den Kammerdiener für einen kleinen Fisch halten, aber es war bekannt, daß der blitzgescheite und vorsichtige Dolgorukoi keinen wesentlichen Entschluß faßte, ohne sich mit dem treuen Frol beraten zu haben. Wer Seiner Erlaucht eine wichtige Bittschrift überreichen wollte, tat gut daran, sichFrol Wedistschew geneigt zu machen, dann war das Spiel schon halb gewonnen.
In den Salon trat, besser, rannte ein robuster kleiner Mann in der Livree des Generalgouverneurs und ratterte schon von der Schwelle: »Euer Hochwohlgeboren, Frol Grigorjewitsch bitten Sie zu sich! Sie möchten ungesäumt kommen! Ein Tohuwabohu bei uns, Erast Petrowitsch, das reinste Irrenhaus! Frol Grigorjewitsch meinen, ohne Sie kommen wir nicht weiter! Ich bin mit dem Schlitten des Fürsten da, wir sind im Nu dort!«
»Ein Tohuwabohu?« fragte der Hofrat stirnrunzelnd, stand aber bereits auf und warf den Hausmantel ab. »Na schön, fahren wir, s-sehen wir’s uns an.«
Unter dem Hausmantel trug er ein weißes Hemd mit schwarzem Halstuch.
»Masa, Weste und Gehrock, hurtig!« rief er und schob die Papiere zurück in die Mappe. »Und Sie, Tulpow, müssen mitfahren. Unterwegs lese ich zu Ende.«
Anissi war bereit, mit Seiner Hochwohlgeboren sonstwohin zu fahren, was er durch hastiges Aufspringen demonstrierte. Nie hätte sich der kleine Botengänger träumen lassen, daß er mal im Schlitten des Generalgouverneurs sitzen würde.
Es war ein vornehmes Gefährt – eine veritable Kutsche auf Kufen. Innen mit Atlas ausgeschlagen, die Sitze aus Juchtenleder und in der Ecke ein Öfchen mit
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