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Russisches Poker

Russisches Poker

Titel: Russisches Poker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Schwarzbart sperrte den Mund auf, und die aufgerollte Peitsche fiel wie eine krepierte Schlange von seiner Schulter.
    Nun, er hatte Anlaß, den Mund aufzusperren.
    In der Mitte des viereckigen Raums stand ein grobgezimmerter Brettertisch. An seinen vier Ecken brannten mit leicht zuckender Flamme vier Kerzen. Auf einem Stuhl saß, über ein altertümliches Buch mit dickem Ledereinband gebeugt (»TRAVELS INTO SEVERAL REMOTE NATIONS OF THE WORLD. By Lemuel Gulliver, First a Surgeon, and then a Captain of Several Ships« 7 , Bristol 1726, erworben bei einem Bukinisten, weil es dick war und solideaussah), saß ein ehrwürdiger Greis in einer weißen Chlamys. Er hatte einen langen grauen Bart und seidenweiche weiße Haare, und um seine Stirn war ein Strick geschlungen. Ein Auge war von einer schwarzen Binde verdeckt, und der linke Arm ruhte in einer Schlinge. Der Eremit schien den Eintretenden nicht wahrzunehmen.
    Kusma drehte sich um und stieß einen unartikulierten Laut aus, da zeigte sich hinter seiner breiten Schulter die blasse Physiognomie Jeropkins.
    Der heilige Einsiedler sagte, ohne den Blick zu heben, mit sonorer Stimme: »Komm hierher, Samson. Ich habe dich erwartet. In dem geheimen Buch steht über dich geschrieben.« Er zeigte mit dem Finger auf eine Gravüre, die Gulliver im Kreise der Houyhnhnms darstellte.
    Vorsichtig auftretend, kam die ganze ehrenwerte Gesellschaft in die Kapelle: Samson Jeropkin, der den Knaben fest bei der Hand hielt, Kusma und die beiden Knechte, die den vollgestopften Bastsack schleppten.
    Der ehrwürdige Greis durchbohrte Jeropkin mit einem dräuenden Blick seines einzigen Auges und hob die Rechte. Dieser Geste gehorchend, ging eine der Kerzen zischend aus. Der Blutsauger stöhnte und ließ die Hand des Knaben los – was auch notwendig war.
    Der Trick mit der Kerze war einfach, aber beeindruckend. Momus selbst hatte ihn erfunden, für den Fall, daß er beim Kartenspiel Schwierigkeiten bekam: Die Kerze sieht ganz gewöhnlich aus, aber der Docht bewegt sich frei im Wachs. Es ist ein ungewöhnlicher Docht, lang und unten durch eine Ritze der Tischplatte gezogen. Wenn die linke Handunbemerkt unterm Tisch zupft, erlischt die Kerze (in Momus’ Schlinge hing natürlich eine Armattrappe).
    »Ich weiß, ich weiß, wer und was du bist«, sagte der Einsiedler mit ungutem Auflachen. »Gib her deinen Sack voller Blut und Tränen, leg ihn hin … Doch nicht auf den Tisch, nicht auf das Zauberbuch!« schnauzte er die beiden Knechte an. »Unter den Tisch, damit ich meinen lahmen Fuß darauf stütze.«
    Sacht stieß er den Sack an – das Satansding war schwer. Wahrscheinlich alles Rubelchen und Dreier. Mindestens ein halber Zentner. Macht nichts, die eigene Last drückt nicht.
    Abergläubisch war Jeropkin zwar und von schlichtem Verstand, aber für nichts und wieder nichts würde er den Sack nicht hergeben. Da genügten bloße Wunder nicht. Da mußte Psychologie her: Druck, Tempo, unerwartete Wendungen. Nicht zur Besinnung, zum Nachdenken kommen lassen! Hü, schneller!
    Der ehrwürdige Greis drohte Jeropkin mit dem Finger, und schon ging die zweite Kerze aus.
    Jeropkin bekreuzigte sich.
    »Daß du dich hier ja nicht bekreuzigst!« fuhr Momus ihn mit schrecklicher Stimme an. »Die Hände werden dir verdorren! Oder weißt du nicht, bei wem du hier bist, du Tölpel?«
    »Ich … ich weiß es, Vater«, krächzte Jeropkin. »Beim heiligen Einsiedler.«
    Momus warf den Kopf nach hinten und lachte unheildrohend – haargenau wie Giuseppe Bardini in der Rolle des Mephistopheles.
    »Dumm bist du, Samson Jeropkin. Hast du die Münzen des Schatzes gezählt?«
    »Ja.«
    »Wie viele sind es?«
    »Sechshundertsechsundsechzig.«
    »Und von wo hast du die Stimme gehört?«
    »Aus der Erde.«
    »Und wer spricht aus der Erde, weißt du das nicht?«
    Jeropkin war so entsetzt, daß ihm die Knie einknickten. Er wollte sich bekreuzigen, fürchtete sich aber, verbarg geschwind die Hand hinterm Rücken und drehte sich nach seinen Leuten um, ob die sich bekreuzigten. Sie taten es nicht, sie zitterten.
    »Ich brauche dich, Samson.« Momus schlug einen vertraulichen Ton an und zog mit dem Fuß den Sack näher zu sich heran. »Du wirst mein, wirst mir dienen.«
    Er ließ die Finger knacken – die dritte Kerze erlosch, und die Finsternis unter den düsteren Gewölben verdichtete sich.
    Jeropkin wich zurück.
    »Wohin? Ich verwandle dich in einen Stein!« brüllte Momus und verfiel sogleich wieder, des Kontrasts halber, in

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