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Russisches Poker

Russisches Poker

Titel: Russisches Poker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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gleichen Abstand weiter, bis zwei Hälften an den Seilen baumeln.«
    Momus spürte Kälte an seinem verletzlichsten, intimsten Teil und begriff, daß Kusmas erster virtuoser Schlag die Naht seiner Reithose aufgetrennt hatte, ohne den Körper zu berühren.
    Lieber Gott, flehte der Mann, der einmal Mitja Sawwin geheißen und noch nie gebetet hatte, wenn es dich gibt, schick einen Erzengel oder wenigstens einen Unterengel! Hilf mir, Gott. Ich schwöre, künftig nur noch solche abgefeimten Halunken auszunehmen wie diesen Jeropkin. Großes Ehrenwort, lieber Gott!
    Da ging die Tür auf. In der Öffnung sah Momus zunächst nur das schräge Gestrichel nassen Schneegestöbers. Dann aber wich die Nacht zurück und wurde zum Hintergrund einer schlanken Silhouette in einem langen taillierten Pelzmantel, mit hohem Zylinder und Rohrstöckchen.

Nach dem Gesetz oder der Gerechtigkeit?
    Obwohl Anissi sein Gesicht mit Seife und Bimsstein und sogar mit Sand gescheuert hatte, war die dunkle Farbe noch immer nicht ganz weg. Bei Fandorin auch nicht, aber dem stand es sogar und wirkte wie Sonnenbräune. Anissi hingegen behielt von der Walnußfarbe nur einzelne Inselchen im Gesicht und erinnerte nun an eine afrikanische Giraffe – gescheckt, dünnhalsig, aber kleinwüchsig. Dafür waren – jedes Übel hat auch sein Gutes – seine Pickel verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Nun, und die Haut würde in zwei bis drei Wochen auch wieder hell werden, das hatte ihm der Chef versprochen. Und die geschorenen Haare würden auch wieder wachsen.
    Am Morgen nach der Nacht, in der sie den Pikbuben und seine Spießgesellin (an die sich Anissi nur seufzend und mit einem wohligen Ziehen in verschiedenen Teilen seiner Seele und seines Körpers erinnerte) auf frischer Tat ertappt hatten und dann entwischen ließen, kam es zwischen Fandorin und Anissi zu einem kurzen, doch wichtigen Gespräch.
    »Tja, Tulpow«, sagte Fandorin seufzend, »wir beide haben uns nicht mit Ruhm bekleckert, aber die Moskauer G-Gastspiele des Pikbuben dürften damit beendet sein. Was gedenken Sie jetzt zu tun? Möchten Sie zurück in die Verwaltung?«
    Anissi gab keine Antwort, er wurde nur totenblaß, was freilich unter der Bräune kaum zu sehen war. Die Vorstellung, nach den spannenden Abenteuern der letzten zwei Wochen zum jämmerlichen Botendienst zurückkehren zu müssen, war ihm unerträglich.
    »Ich werde Sie selbstverständlich an höchster Stelle auf das schmeichelhafteste empfehlen. Schließlich können Sie nichts dafür, daß ich so v-versagt habe. Ich werde vorschlagen, Sie in die Ermittlungs- oder die Operationsabteilung zu versetzen, was Ihnen lieber ist. Aber ich habe Ihnen, Tulpow, noch etwas anderes anzubieten.«
    Der Chef machte eine Pause, und Anissi beugte sich vor, einerseits aufgewühlt von der glänzenden Aussicht einer triumphalen Rückkehr in die Gendarmerieverwaltung, andererseits ahnend, daß er gleich etwas noch Schwindelerregenderes hören würde.
    »Wenn Sie nichts dagegen haben, ständig mit mir z-zusammenzuarbeiten, könnte ich Ihnen den Posten meines Assistenten anbieten. Ein festangestellter Assistent steht mir in meiner Stellung zu, aber von diesem Recht habe ich bislang keinen Gebrauch gemacht, sondern es vorgezogen, allein fertig zu werden. Mit Ihnen aber könnte ich wohl auskommen. Ihnen fehlt es an Menschenkenntnis, Sie neigen sehr zu Reflexionen und haben zu wenig Vertrauen in Ihre Kräfte. Aber gerade diese Eigenschaften können in unserem Gewerbe sehr nützlich sein, wenn sie in die nötige Richtung g-gelenkt werden. Fehlende Menschenkenntnis schützt vor stereotypen Einschätzungen, und im übrigen ist dieser Mangel korrigierbar. Vor einem Entschluß zu zögern ist auchnützlich. Erst wenn der Entschluß gefaßt ist, darf nicht mehr gezögert werden. Zu geringes Vertrauen in die eigenen Kräfte wiederum bewahrt vor Leichtsinn und Nachlässigkeit und kann sich zu wohltuender U-Umsicht entwickeln. Ihr größter Vorzug, Tulpow, besteht darin, daß die Furcht, in eine schmähliche Lage zu geraten, bei Ihnen stärker ist als die physische Furcht, also werden Sie in jeder Situation danach trachten, sich w-würdig zu benehmen. Das gefällt mir. Und Ihre Auffassungsgabe ist gar nicht schlecht für Ihre fünf Klassen Realschule. Was sagen Sie dazu?«
    Anissi schwieg, die Redegabe war ihm abhanden gekommen, und er hatte Angst, sich zu rühren – womöglich zerginge dann der schöne Traum, und er riebe sich die Augen, sähe sein armseliges

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