Russisches Requiem
kleinen Buntglasfenster hoch droben in den Kuppeln flimmerten. Alle Kuppeln boten verschiedene Freskodarstellungen von biblischen Szenen, und die goldumflorten Köpfe und silbernen Roben der Heiligen schimmerten sanft im trüben Schein. Koroljow verzog unwillkürlich den Mund, als er die direkt auf die Fresken und Mosaiken gemalten Parteiparolen erkannte. Die Rotznasen sollten etwas Besseres mit ihrer Zeit anzufangen wissen, als sich aufzuführen wie die Vandalen. Stumm folgte er Popow von Schatten zu Schatten bis zur Sakristei am hinteren Ende der Kirche.
Selbst das heilige Tempion, die Holzwand, die die Gemeinde von den Geheimnissen des Altars abtrennte und in früheren Zeiten mit Ikonen bedeckt gewesen wäre, war jetzt mit Spruchbändern behängt, die zu größeren Anstrengungen für die sowjetische Sache mahnten. Koroljow machte in der Tasche heimlich das Kreuzzeichen. Wäre nicht sogar Genosse Stalin fast Priester geworden? Bestimmt würde er diesen Komsomol-Lümmeln kräftig den Marsch blasen.
»Sie ist dort drinnen.« Unbekümmert trat der General durch die zentrale Tür des Tempions in die Sakristei, aus der weißes Licht in das düstere Kirchenschiff flutete. Nach kurzem Zögern wandte sich Koroljow zum Eingang des Diakons. Die »heilige Tür« in der Mitte durfte nur von Priestern durchschritten werden, und daran fühlte er sich gebunden, auch wenn sich in dieser Kirche schon seit mindestens zehn Jahren kein Geistlicher mehr aufgehalten hatte.
Noch ehe er einen Blick auf die Ermordete erhascht hatte, wusste Koroljow, dass ihr etwas Schreckliches zugestoßen war. Er konnte es riechen. Trotz oder vielleicht sogar wegen seiner langen Jahre bei der Armee hasste er den Geruch von Blut. Auch den Anblick mochte er nicht besonders, und der weiße Marmorboden war über und über damit besudelt. Die Heiligen an den Wänden blickten mit heiteren Gesichtern in die Ferne, als wollten sie die grausige Szenerie zu ihren Füßen nicht wahrhaben. Er konnte ihnen keinen Vorwurf machen. Es lag nicht nur am Blut - die arme Frau auf dem Altar hatte einen schweren Tod gehabt. Er schluckte, um einen Würgereiz zu unterdrücken, und spürte dankbar den Schmerz, als sich seine Nägel in die Handflächen bohrten. Der Körper war auf furchtbare Weise verstümmelt worden. Sein Magen rebellierte erneut, und er schmeckte scharfen, salzigen Speichel im Mund. Verzweifelt klammerte er sich an den Gedanken, dass alles in Ordnung war, wenn er noch zehn Sekunden durchhielt. Die erste Minute war immer die schlimmste. Er tat einen Schritt auf sie zu und kam zu dem Schluss, dass sie wohl hübsch gewesen war, als unter ihrer Haut noch warmes Leben pulsiert hatte. Für dieses Werk konnte nur der Teufel persönlich verantwortlich sein.
Auf der anderen Seite des Altars schnaubte Popow wütend. »Und auch noch in einer Kirche«, zischte er.
Erstaunt musterte Koroljow den General. Zwei leichtsinnige Bemerkungen an einem Tag! Entweder hatte Popow sehr viel Vertrauen zu ihm, oder er war lebensmüde. Trotzdem konnte man sich dem Eindruck nicht entziehen, dass der geweihte Ort die Grausamkeit des Verbrechens noch verstärkte. Er trat näher, vermied dabei jedoch sorgfältig das Blut am Boden und vor allem die erstarrten Schuhabdrücke, die vielleicht einen Hinweis auf den Mörder bargen.
Sie lag auf dem Rücken, die Arme im rechten Winkel von den Überresten ihres Brustkastens weggestreckt. Wo der Körper nicht aufgehackt oder mit Blut verschmiert war, schimmerte die Haut perlweiß, als hätte sie nie die Sonne gesehen. Doch das war wohl auf die gleißenden Bogenlampen zurückzuführen. Die Beine des Mädchens waren leicht gespreizt, und Koroljow erkannte die völlig verbrannte Haut um ihren Schamhügel. Fast ihr gesamtes Schamhaar war zu einem klebrigen Klumpen versengt. Als er sich an die Arbeit machte, wich die Übelkeit allmählich zurück. Das musste die Tat eines Irrsinnigen sein.
Der General schüttelte ungläubig den Kopf, sein Mund war ein schmaler Strich. Angewidert wies er mit dem Kinn auf die Stelle, wo ein verschrumpeltes Ohr und ein Auge, das aus dem Gesicht der Frau gekratzt worden war, in einer eingetrockneten Blutkruste ruhten. Das Auge wirkte ebenso gelassen wie die der Apostel weiter oben. Erst nach einer Weile erkannte Koroljow, dass der letzte Bestandteil des grausigen Arrangements die Zunge des Opfers war.
»Ich glaube, einige dieser Verletzungen wurden ihr zugefügt, als sie noch lebte«, stellte er fest. »Sonst gäbe es
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