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Russisches Requiem

Russisches Requiem

Titel: Russisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ryan
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viel. Nach der Scheidung hatte Schenja mit seiner Zustimmung den größten Teil ihrer gemeinsamen Habe behalten. Schließlich musste sie für ihren gemeinsamen Sohn Juri sorgen, und außerdem war im Zimmer seines Cousins ohnehin kein Platz. So waren ihm nur einige Kleider, Bettzeug und Kochutensilien, seine Bücher, ein kleiner Ledersessel - das einzige Erbe seiner Mutter nach seiner Rückkehr aus dem Krieg - und ein Satz Hanteln geblieben. Den Sessel und die Hanteln ließ er bei Michail, der ihm unter Tränen versprach, sie wie seinen Augapfel zu hüten, den Rest schleppte er in zwei großen Leinensäcken durch die ganze Stadt. Als er endlich vor der Bolschoi-Nikolo-Worobinski-Gasse Nummer vier stand und zu einem gediegenen alten Haus von verblichener Grandezza aufblickte, das in Wohnungen für Parteifunktionäre und den einen oder anderen Glückspilz wie ihn aufgeteilt worden war, fühlte er sich so müde, als hätte er die ganze Welt umrundet. Dennoch spielte ein Lächeln um seine Lippen, während er die Stufen zur offenen Eingangstür hinaufstieg.
    Laut dem Formular wohnte der Leiter der Hausverwaltung im zweiten Stock, daher ließ er seine Säcke zunächst unten stehen. Auf dem richtigen Treppenabsatz angelangt, klopfte er an eine schartige Tür, auf der in schiefen, ungleichmäßigen Buchstaben »Hausverwaltung« stand. Sie wurde von einem Mann mit schmalem Gesicht und einem alten Wollpullover geöffnet, dessen auf halbmast zugenähter linker Ärmel um einen fehlenden Arm trauerte. Er schien erst beim Anblick von Koroljows Uniform aufzuwachen und riss die Augen auf.
    »Gibt es ein Problem, Genosse?« Er spähte in den Korridor. »Hat jemand Lügen über mich verbreitet? Ich habe in Polen an der Seite von Budjonny gekämpft und meinen Arm verloren, und jetzt verfolgt man mich? Was ist das nur für eine Welt, in der wir leben! Wer war es? Sagen Sie mir wenigstens, wer es war. So ein niederträchtiger Dreckskerl.«
    Koroljow hob beschwichtigend die Hand. »Bitte, Genosse. Das Wohnungsamt hat mir ein Zimmer zugewiesen, das ist alles. Ich heiße Koroljow.«
    Der Leiter der Hausverwaltung stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und fasste sich so weit, dass er ein Lächeln zustande brachte und die Hand ausstreckte. »Entschuldigen Sie. Maxim Luborow. Ich kümmere mich um das Gebäude. Sie wissen ja, wie das ist. In so einer Stellung macht man sich unweigerlich Feinde. Manchmal stoßen die Leute Drohungen aus, und selbst wenn man unschuldig ist wie ein Lamm, kann man nie vorhersehen, was passiert. Alle wollen ein paar Quadratmeter mehr, und es ist ihnen völlig egal, wie sie dazu kommen. Die reinsten Teufel.« Er führte die Hand zur Nase, um sie kurz zusammenzudrücken, was ihm seltsamerweise eine gewisse Erleichterung zu verschaffen schien. »Es tut mir leid. Heute habe ich Schmerzen im Arm. Nicht einmal die Prothese kann ich tragen, so weh tut es. Dieser verdammte Pole. Zack. Der Säbel fährt runter, und weg ist der Arm. Einfach so.«
    Koroljow schüttelte Luborows verbliebene Hand und deutete mit dem Finger auf die Narbe an seinem Kiefer. »Ich hatte mehr Glück. Einer von Denikins Kosaken. Ich habe ihn erwischt, bevor er mich erledigen konnte.«
    »Gut für Sie. Ohne Arm kann man sich zurechtfinden, ohne Kopf ist das schon schwerer.« Luborow nahm das Formular entgegen. »Ah ja, das Zimmer im ersten Stock. Kommen Sie, ich zeige es Ihnen. Es stehen auch ein paar Möbel drin. Bett, Stuhl, Tisch. Sogar ein Schrank, glaube ich. Gar nicht schlecht, schön geräumig. Weit über der offiziellen Norm.« Er war bereits fast einen Treppenabsatz tiefer angelangt und drehte sich jetzt zu Koroljow um. »Wenn Sie was brauchen, lassen Sie es mich wissen. Versprechen kann ich natürlich nichts, aber vielleicht kann ich Ihnen weiterhelfen.« Um das Spekulative seines Vorschlags und der Methoden anzudeuten, die dafür unter Umständen anzuwenden waren, bewegte er die Hand hin und her.
    Koroljow nickte verbindlich, obwohl er nicht vorhatte, auf das Angebot einzugehen. Nicht dass er grundsätzlich etwas dagegen gehabt hätte, aber es war einfach nicht klug, einen solchen Gefallen von einem Fremden anzunehmen, wenn die Bekanntschaft nicht durch eine vertrauenswürdige Empfehlung zustande gekommen war. Man konnte nie wissen, was als Gegenleistung verlangt wurde.
    Im ersten Stock schritt Luborow voran durch den Flur. »Da wären wir, Genosse.« Nachdem er die Tür aufgesperrt hatte, händigte er Koroljow den Schlüssel aus.

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