Russisches Requiem
Wenn Tschekisten in die Sache verwickelt sind, wie Gregorin anscheinend annimmt, dann könnten Sie schon morgen draußen im Butyrka-Gefängnis in einem ungekennzeichneten Grab liegen. Die haben ohne Skrupel eine Amerikanerin getötet, da würden sie vor Ihnen bestimmt nicht haltmachen. Eine zusätzliche Leiche verschwinden zu lassen ist für diese Leute kein Problem. Wobei ich mich frage, warum sie mit dem Mädchen nicht schon genauso verfahren sind. Ach so, sie ist Amerikanerin. Vielleicht haben sie sie verstümmelt, damit sie niemand erkennt.«
Ungeduldig stopfte er die Fotografien zurück, dann schüttelte er den Kopf. »Nein. Wenn es ihnen darum gegangen wäre, hätten sie ihr Kopf und Hände abgeschlagen. Alter Banditentrick. Sogar die Tätowierungen entfernen sie, wenn es welche gibt. Vielleicht wurden sie gestört?«
Bei den wilden Spekulationen des Generals beschlich Koroljow ein mulmiges Gefühl, vor allem als davon die Rede war, dass er selbst in einem Butyrkagrab landen könnte.
Unbeirrt fuhr der General fort. »Alles sehr interessant. Nicht zuletzt, weil es letzte Nacht wieder einen Mord gegeben hat, draußen im Tomski-Stadion. Zwar nur ein Bandit, aber vielleicht besteht da ein Zusammenhang. Auf jeden Fall klingt es so. Die Leiche wurde säuberlich zerstückelt, wie die Ihre. Aber was haben ein Bandit und eine Nonne miteinander gemein?« Seine Lippen kräuselten sich zur Andeutung eines Lächelns. »Hört sich an wie der Anfang von einem Witz.«
»Im Tomski-Stadion?«, warf Koroljow rasch ein, um den General davon abzubringen, sich eine Pointe auszudenken.
»Ja, dort wurde die Leiche heute Morgen entdeckt. Larinin bringt sie zum Institut. Sehen Sie sich das mal an und fragen Sie die Ärztin nach ihrer Meinung. Könnte unser Mörder sein oder auch nicht. Wer weiß, vielleicht sind die Verschwörer miteinander in Streit geraten. Außerdem darf man nicht vergessen, dass er im Spartak-Stadion gefunden wurde - und dort ist bekanntlich alles möglich.«
Wieder lächelte der General, in der Hoffnung auf eine Reaktion von Koroljow, der im Fabrikviertel Presnenski aufgewachsen war und in jungen Jahren als Mittelläufer für die dortige Fußballmannschaft Krasnaia Presnia gespielt hatte. Unter Führung der vier Starostin-Brüder hatte sich diese zum Kern der inzwischen berühmten Elf von Spartak entwickelt.
»Sie wissen doch, dass ich zu alt bin, um für Dynamo zu spielen.« Koroljow war nicht in der Stimmung, sich die üblichen Sticheleien des Generals zu diesem Thema anzuhören. Obwohl er zu seiner Zeit keinen schlechten Verteidiger abgegeben hatte, hatte Koroljow nie zu Dynamo gewechselt, dem großen Rivalen von Spartak, dessen Spieler sich zum großen Teil aus der Miliz, dem NKWD und anderen Organen der Staatssicherheit rekrutierten. Der General fand es amüsant, dass ihm ein alter Spartakspieler unterstand. »Außerdem halten wir Presnaja-Jungs zusammen, und wir würden nie einen der Unsrigen umbringen.«
»Wissen Sie, Alexei«, erwiderte Popow mit leiser Stimme, »Sie sind ein guter Mensch, und das sehen die Leute auch. Aber seien Sie um Gottes willen vorsichtig bei diesem Fall. Versprechen Sie mir das. Wollen wir hoffen, dass die Tschekisten ihn uns bald entziehen. Ein geradliniger Axtmord oder so was Ähnliches - damit können wir viel mehr anfangen.«
Die beiden schauten sich länger in die Augen, als es unter anderen Umständen höflich gewesen wäre. Dann erhob sich Popow aus seinem Stuhl und streckte ihm die Hand entgegen. Koroljow schlug ein und spürte den harten Griff des Generals.
»Gehen Sie bitte nicht zu der Versammlung. Wenn die Saukerle meinen Kopf wollen, nutzt es sowieso nichts, und ich möchte keinen guten Mann wie Sie mit ins Verderben reißen. Aber wahrscheinlich wird sowieso alles halb so schlimm. Es ist ja nur die Wandzeitung und keine offizielle Verlautbarung.«
Popow trat ein wenig zurück und musterte Koroljow mehrere Sekunden lang. Dann nickte er, wie um seine persönliche Einschätzung des Kriminalermittlers zu bestätigen. Auch Koroljow machte einen Schritt nach hinten, und weil der Augenblick die Geste zu erfordern schien, schlug er die Hacken zusammen und nahm Habtachtstellung an. Die freundliche Miene des Generals wurde finster, dennoch wirkte er nicht unbedingt verärgert, als er seinen Untergebenen mit einem Wink seiner Pfeife verabschiedete.
Als Koroljow das Zimmer verließ, stand Popow bereits am Fenster und blickte hinab auf Fußgänger, Radfahrer, Pferdekarren
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