Russisches Requiem
Wandzeitung, fand aber weder Jasimows noch seinen Namen erwähnt. Sie waren aus der Sache heraus, zumindest fürs Erste.
Als Jasimow seine Lektüre beendet hatte, klopfte er Koroljow auf die Schulter und steuerte auf die zerschrammte Tür von Zimmer 2F zu. Es gab nichts zu sagen, was sie hier draußen hätten aussprechen können. Koroljow blieb noch ein wenig, dann setzte er den Weg hinauf zum General fort. Er wurde den Verdacht nicht los, dass Jasimows Schulterklopfen nicht als Beruhigung gemeint war, sondern als Warnung.
Der General saß pfeiferauchend in seinem Büro und starrte vor sich hin. Auf dem Schreibtisch vor ihm stand ein Glas Wasser mit zwei weißen Tabletten.
Popow folgte Koroljows Blick. »Ach ja. Magengeschwür. Anständiges Essen vertrage ich kaum mehr, von Alkohol ganz zu schweigen. Das Leben ist hart. Immerhin kann ich noch rauchen. So einigermaßen jedenfalls.« Paffend betrachtete er Koroljow. »Sie haben also die Wandzeitung gesehen?«
»Ja. Was passiert jetzt, Genosse General?«
»Das werden die mir bestimmt nicht vorher auf die Nase binden. Sicher wird zu gegebener Zeit eine Disziplinarversammlung angesetzt, und dann werden mir meine Genossen den Weg weisen. Wenn die Partei der Meinung ist, dass ich meine Pflichten vernachlässigt habe, dann muss ich das akzeptieren -das ist meine Schuldigkeit. Aber ich hätte das nie von Mendelejew gedacht, und ich kann mir nicht helfen ...«
Er ließ den Satz unvollendet. Stattdessen sog er angestrengt an der Pfeife und konzentrierte sich auf das rote Glühen, das daraus entstand. Er schien Koroljow völlig vergessen zu haben. Als dieser sich räusperte, blickte der General verwirrt auf.
»Ah, Alexei. Was wollten Sie von mir?«
»Ich werde bei der Versammlung sprechen, Genosse General. Keiner hat so eng mit Mendelejew zusammengearbeitet wie ich. Wenn mit ihm etwas nicht gestimmt hat, dann hätte ich es als Erster bemerken müssen.«
Tiefe, V-förmige Furchen gruben sich in Popows Stirn. »Schlagen Sie sich das aus dem Kopf. Sie dürfen sich da nicht einmischen - schließlich sind Sie kein Parteimitglied. Bitte beziehen Sie keine Stellung.«
»Genosse General, niemand hat einen größeren Beitrag zu unseren Anstrengungen geleistet als Sie. Das wissen alle. Erlauben Sie mir zu sprechen.«
Popow stieß einen Schwall Rauch aus, als er lachte. »Aber ich habe nicht genug getan, Alexei Dimitrijewitsch, nicht annähernd genug. Immer wieder tauchen sie auf, die Banditen und die Vandalen, die Vergewaltiger, die Mörder, die Spekulanten, die Huren, die Ganoven. Nach der Theorie hätten sie längst in der großen Arbeiterklasse aufgehen müssen. Und wenn dem nicht so ist, muss jemand daran schuld sein. Natürlich sollte man meinen, dass meine Arbeit leichter wäre, wenn die Theorie ...« Nach kurzem Stocken fuhr er fort. »Verzeihung. Reden wir lieber nicht weiter über dieses Thema, sonst rutscht mir noch etwas Dummes heraus, und wir sitzen beide in der Tinte.«
»Ich bin sicher, dass die Partei zum richtigen Schluss gelangen wird, Genosse General.«
Der General schüttelte den Kopf. Anscheinend hatte er die ganze Geschichte satt. So schaute er sich um, bis sein Blick an Koroljows Bericht hängenblieb. Er hob ihn mit einer Hand auf, während er sich mit der anderen die Pfeife in den Mund steckte.
»Sie machen Fortschritte, Alexei Dimitrijewitsch. Was sagt Stabsoberst Gregorin dazu?« Seine Stimme war gedämpft durch die Pfeife, aber es machte ihm offensichtlich mehr Freude, sich mit dem Fall zu befassen als mit der Parteiversammlung.
Nach kurzem Zögern erzählte Koroljow, was er von Gregorin erfahren hatte, ohne etwas auszulassen.
Der General stieß einen langen, leisen Pfiff aus. »Zum Teufel, das auch noch. Das riecht ja förmlich nach Scherereien - aber das muss ich Ihnen bestimmt nicht sagen.«
»Nein«, erwiderte Koroljow trocken.
»Was ich nicht begreife, ist, warum sie uns den Fall überlassen.« Nachdenklich strich sich der General mit dem Mundstück der Pfeife übers Kinn. »Gregorin muss doch vermuten, dass der Mörder etwas mit der Verschwörung um die verschwundenen Kunstgegenstände zu tun hat. Aber wahrscheinlich nimmt er an, dass Sie mit Ihrer Suche nach dem Mörder genügend Staub aufwirbeln, um die Kriminellen von der Untersuchung abzulenken, die Gregorins Leute betreiben. Ja, kein schlechter Plan.« Der General nickte wie zur Bekräftigung.
Dann blickte er auf. »Aber was ist, wenn diese Kerle beschließen, auch Sie umzulegen?
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