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Russisches Requiem

Russisches Requiem

Titel: Russisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ryan
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sowieso schon dicht auf den Fersen. Entweder Sie sind ein Köder oder nicht, auf jeden Fall müssen Sie Ihre Pflicht tun ... Und wer weiß, vielleicht sind Sie derjenige, der diese Kerle zur Strecke bringt. Andererseits könnte sich auch herausstellen, dass es doch bloß ein Wahnsinniger ist. Und mit ein bisschen Glück kommen wir alle heil aus der Sache raus.«
    Koroljow verabschiedete sich und spürte einen Moment lang den gnadenlosen Händedruck des Generals. Natürlich war der einzige Wahnsinnige in diesem Fall einer, der glaubte, dass die Staatssicherheit
nicht
in die Sache verwickelt war. Der General winkte kurz, und Koroljow beobachtete, wie sich das Automobil mit schlitternden Reifen entfernte. Er lauschte dem Pumpen des Bluts in seinen Ohren und überlegte, ob er schon einmal solche Kopfschmerzen gehabt hatte. Es fühlte sich an, als wäre er angeschossen worden. Er würde sich hüten, sich noch einmal auf eine Prügelei mit einem Fabrikarbeiter einzulassen. In seinem Alter war so ein Benehmen einfach lächerlich, wenngleich er sich nicht ohne eine gewisse Befriedigung daran erinnerte, wie ihn Semjonow danach gemustert hatte.
    Einen Moment stand er so da, dann spürte er, wie unter seinen Stiefeln der Boden schwankte. Er machte einen Schritt Richtung Tür, aber plötzlich kam die Straße auf ihn zu, und er blähte vor Panik die Nüstern. Dann wand sich sein Magen hinauf zur Brust, und instinktiv schaffte er es bis zur Mauer. Er lehnte sich an, ohne den Strom aus einer beschädigten Regenrinne zu beachten, der auf seinen Arm spritzte und seinen Mantel schwarz durchnässte. Wieder hüpfte sein Magen, und an den rauen Verputz gestützt, beugte er sich vor, um sich gegen die Wand zu übergeben. Das halb verdaute Essen löste sich sofort in dem starken Regen auf. Nach dem zweiten Würgen war sein Magen leer, und alle Kraft hatte ihn verlassen. Er konnte kaum noch die Augen offen halten, geschweige denn stehen, doch irgendwie gelang es ihm, sich an der Mauer festzukrallen und unendlich langsam die Hand zum Gesicht zu heben, um sich den Mund abzuwischen. Er strich sich mit der Zunge über die Zähne und spuckte aus. Durch die Anstrengung sackte er mit erneut rebellierendem Magen nach vorn. Der Boden unter ihm wurde abwechselnd scharf und unscharf, und er fragte sich, ob er vergiftet worden war. Aber er konnte sich nicht erinnern, in den letzten Stunden etwas Verdächtiges zu sich genommen zu haben. Tief atmend drückte er die freie Hand an die Brust, um das Schlottern zu dämpfen, das seinen ganzen Körper erfasst hatte. In der Pfütze unter sich sah er die Spiegelung der Straßenlaterne. Als er fluchte, schienen die Worte wie Blasen an seinen Lippen zu kleben, und er biss die klappernden Zähne zusammen. Langsam schob er sich auf die Tür zu und zitterte dabei so heftig, dass sein Arm gegen den Putz schlug. Wenn er es nach drinnen schaffte, würde er wenigstens nicht auf der Straße krepieren wie ein Hund. Er konnte das Gewicht jedes Fadens an seinem durchnässten Mantel spüren und fing an zu beten. »Verschone mich, o Herr.« Knurrend fuhren die Worte aus ihm heraus und zerrten an dem großen Ballon aus dumpfem Schmerz in seinem Schädel.
    Als er die Schritte hörte, war er zu schwach, um den Kopf zu heben. Hier kommt sie, dachte er, die Kugel mit meinem Namen, und ich freue mich darauf, freue mich auf die Erlösung. Das Letzte, woran er sich erinnerte, war, dass jemand den Arm um ihn legte, ehe er stürzen konnte.
     

20
    Die Landschaft erstreckte sich flach in allen Richtungen bis zur dunkelblauen Linie des Horizonts; ein einziges riesiges Feld, das in langen Wellen wogte. Die Weizenhalme streiften seine Ellbogen, als er voranschritt. Es war wie ein Meer, aufgewühlt von der Brise, golden und dunkel getönt von den schnell ziehenden Wolken. Nichts anderes war zu hören als das heisere Krächzen einer Krähe und das Rauschen des wogenden Weizens.
    Das Gewehr war schwer, und er ließ es auf Hüfthöhe hängen. Mit dem Daumen schob er den Sicherheitsverschluss zurück, dessen Metall sich glatt anfühlte, und sein Finger lag locker auf dem Abzug. Irgendwo vor ihm war der Pole, bestimmt kroch er auf Ellbogen und Knien, ganz vorsichtig, um oben nichts zu bewegen. Koroljow suchte nach einer Unregelmäßigkeit, die seinen Weg verraten würde. Wahrscheinlich wollte er nach Westen, das war die Richtung, aus der er gekommen war, und da waren sicher auch die anderen. Möglicherweise war er verwundet. Sein Pferd lag

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