Russisches Requiem
gemacht hätte, hätte er vielleicht Einwände erhoben. So aber ließ er es bei einer verärgerten Grimasse bewenden.
»Gut.« Popow erhob sich. »Dann können wir uns wohl verabschieden, Professor.«
»Gute Nacht. Walentina Nikolajewna, hier ist meine Nummer in der Universität, falls Sie mich morgen anrufen müssen.« Hastig kritzelte der Professor etwas in ein kleines Notizbuch, riss die Seite heraus und reichte sie Walentina.
Koroljow wollte sich erheben, doch schon als er sein Gewicht verlagerte, musste er einsehen, dass es nicht ging. Er begnügte sich mit einem Nicken und ließ sich ermattet zurücksinken.
»Hier, Genosse Koroljow.« Schura brachte eine Schüssel Suppe und stellte sie neben Natascha auf den Tisch. »Kann ich Ihnen helfen?«
Schura und Walentina Nikolajewna fassten ihn an den Armen und bugsierten ihn zum Tisch. Beim Geruch der Suppe - Kohl mit kleinen Hühnchenstücken - lief ihm das Wasser im ausgetrockneten Mund zusammen. Er nahm einen Löffel und blies, bevor er probierte.
»Ist sie zu heiß, Genosse?«, fragte Schura.
»Ich hab's doch gesagt«, schaltete sich Walentina Nikolajewna ein. »Hier, nehmen Sie etwas Brot. Sie können eintunken, bis sie abgekühlt ist.«
»Es geht so, wirklich. Vielen Dank euch beiden. Sie schmeckt sehr gut.«
»Ich darf mein Brot nie eintunken.« Mit empörter Miene blickte Natascha von ihrem Heft auf. »Wieso darf er das?«
»Weil er ein Kriminalbeamter ist, Natascha, und ordentlich zulangen muss, damit er wieder Mörder und anderes Gesindel fangen kann.« Schuras Mischung aus Überzeugung und Tadel schien die Kleine zufriedenzustellen. Natascha beugte sich wieder über ihre Hausaufgaben, und die zwei Frauen beobachteten voller Genugtuung, wie er aufaß.
»Der Genosse hat wirklich einen gesunden Appetit, finden Sie nicht, Walentina Nikolajewna?«, bemerkte Schura, als er die Schale schräg hielt, um auch noch den letzten Tropfen auszulöffeln.
»Was ist mit meinen Kleidern?« Schon vor einer Weile war Koroljow aufgefallen, dass er nur einen alten Pullover und seine Uniformhose trug.
»Sie waren nass bis auf die Haut. Keine Sorge, wir haben nicht hingeschaut.« Walentina Nikolajewnas Worte veranlassten Schura und Natascha zu einem Heiterkeitsausbruch, den sie hinter vorgehaltenen Händen zu dämpfen versuchten.
»Kein Wunder, dass er so einen Hunger hat«, bemerkte Schura leise.
Koroljow spürte, wie seine Wangen warm wurden. Die Gesellschaft so vieler Frauen war für ihn ungewohnt. »Was ist denn? Gibt es keine andere Unterhaltung in ganz Moskau?«, blaffte er. »Müsst ihr mich alle drei anstarren wie eine Giraffe im Zoo?«
Sein Zorn war nicht gespielt, aber er wirkte völlig überzogen - sowohl auf die Frauen als auch auf ihn selbst, und diesmal machten sie sich nicht die Mühe, ihr Lachen zu verbergen. Prompt konnte er selbst sich ein Lächeln nicht mehr verkneifen, was sie nur noch mehr entzückte.
»Ich muss wieder rüber«, verkündete Schura schließlich. »Isaak Emmanuilowitsch wird bald heimkommen. Aber ich schaue später nochmal rein, falls Sie mich brauchen, Walentina Nikolajewna.«
Sie verabschiedeten sich von Schura, dann saßen sie eine Weile stumm da und schauten sich an: Koroljow, Walentina und die Kleine.
Nach einer Weile brach Natascha das Schweigen. »Ich bin mit den Hausaufgaben fertig.«
»Gut«, erwiderte Walentina. »Dann mach dich schon mal bereit zum Schlafengehen. Ich bin auch gleich so weit.«
Natascha nahm Bücher und Stift und ließ die beiden Erwachsenen nach einem letzten scheuen Augenaufschlag allein. Koroljow versuchte wegzusehen, aber sein Blick fand immer wieder zu Walentina zurück. Wortlos musterten sie einander.
»Natascha hat das gut gemeistert«, sagte er schließlich, nachdem er mehrere andere Möglichkeiten verworfen hatte, das fast unerträglich intime Schweigen zu durchbrechen.
Walentina presste die Hände zusammen, bis die Knöchel weiß hervortraten. »Sie ist älter als ihre Jahre. Das sind sie alle. Wir verlangen es von ihnen. Haben Sie ihr Pionier-Halstuch bemerkt? Schon Grundschüler werden auf den Krieg vorbereitet.« Sie legte die Hand an die Stirn und tippte sich sachte zwischen die Brauen. »Missverstehen Sie mich bitte nicht.«
»Das tue ich bestimmt nicht. Ich weiß, dass Sie eine loyale Bürgerin sind.« Das kam nicht ganz so heraus, wie er es gemeint hatte, aber vielleicht wollte sie vor allem beruhigt werden.
Sie schüttelte den Kopf, als würde sie sich über ihre eigene
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