Russisches Requiem
Dann blickte er zu den im Zimmer versammelten Menschen auf. Schura stand mit ernstem Gesicht am Kücheneingang. Neben ihr hatte Walentina Nikolajewna den Mund zu einem schmalen Strich zusammengepresst, und ihre blaue Augen forschten in den seinen. Ihre Hand lag auf der Schulter eines hübschen kleinen Mädchens, das ihn scheu anlächelte. Das musste Walentinas Tochter Natascha sein; ungefähr acht, dunkelblondes Haar, die Augen ihrer Mutter und ein rotes Pioniertuch um den Hals. Popow rieb sich in der Nähe des Fensters mit der unangezündeten Pfeife über die Nase.
»Was ist denn passiert?« Koroljow wunderte sich noch immer, dass er auf einmal hier oben in der Wohnung war, umgeben von Leuten. Er wusste nur noch, dass er sich vornübergebeugt auf die regennasse Straße erbrochen und die Schritte seines nahenden Mörders gehört hatte. Aber nicht einmal dieser Erinnerung war er sich wirklich sicher.
»General Popow hat sie hochgebracht.« Natascha musterte ihn mit ihrem offenem Blick. »Er hat ganz fest an die Tür geklopft, bis ich aufgemacht habe. Sie waren auf dem Boden und haben geschlafen. Er hat gesagt, dass Sie krank sind und einen Arzt brauchen.«
»Sie ist rübergelaufen, und ich habe Professor Goldfarb gerufen«, ergänzte Schura. »Er wohnt im vierten Stock. Er war gerade beim Abendessen, und zusammen haben wir Sie hier reingetragen.«
»Das Essen wird ja nicht schlecht.« Der Professor nahm die Brille ab, um sie zu polieren.
»Und wird er wieder gesund«, fragte Schura, »der Genosse Kriminalbeamte? Ziemlich übler Riss, den er da an seinem Kopf hat, oder?«
»Wie ich schon gesagt habe, das wird wieder.«
»Ihr Gesicht war weiß wie bei einem Gespenst«, merkte Natascha voller Wonne an.
»Was ist denn passiert?« Walentina Nikolajewna trat jetzt näher und streckte die Hand aus, als wollte sie die vernähte Wunde berühren. »Sieht wirklich schlimm aus.«
»Ein Unfall.« Koroljow winkte ab, doch selbst für ihn klang seine Stimme matt. Um den Sentimentalitäten ein Ende zu bereiten, wandte er sich männlich knapp an den Professor. »Also eine Gehirnerschütterung? «
Immer noch bestürzt, schüttelte Walentina Nikolajewna den Kopf. »Sie hätten dabei sein sollen, als ich nach Hause kam - alles war voller Leute, und Sie wie eine Leiche mittendrin. Es war wie eine Szene aus einer Tragödie. Können Sie schon was essen?«
Schuras Kopf ruckte nach oben wie der eines Jagdhunds, und er brachte es nicht über sich, abzulehnen. »Vielleicht ein wenig Suppe.«
Bald darauf stritten Walentina Nikolajewna und Schura in der Küche leise über die Zubereitung. Mit einem schüchternen Lächeln legte Natascha ein Kissen auf einen Holzstuhl. Dann setzte sie sich an den Tisch und schlug ein Schulbuch auf. Hausaufgaben, dachte Koroljow. Das lernende Kind und die sprechenden Frauen in der Küche vermittelten ihm ein Gefühl von Wärme und Sicherheit. Er lehnte sich zurück und schloss kurz die Augen. Als er sie wieder öffnete, blickte Popow auf ihn nieder. Er wirkte kleiner als sonst.
»Wie geht es Ihnen, Alexei Dimitrijewitsch?« Die Stimme des Generals war kaum hörbar.
»Als hätte mir jemand Beton in den Kopf geschüttet. Aber eigentlich gar nicht so schlecht. Zum Glück haben Sie mich unten auf der Straße aufgesammelt.«
»Ihr Notizbuch ist Ihnen im Wagen aus der Tasche gerutscht. Ich wollte es Ihnen bringen.«
»Vielen Dank, Genosse General.«
Der General machte eine wegwerfende Geste. »Der Professor meint, Sie brauchen mindestens vierundzwanzig Stunden Ruhe. Ich rede morgen mit Semjonow und Gregorin, wie wir mit der Untersuchung weiterverfahren. Sie werden es auf jeden Fall ein, zwei Tage lang ruhig angehen lassen.« Als Koroljow Einspruch erheben wollte, hob der General müde die Hand. »Das ist ein Befehl, Alexei Dimitrijewitsch. Genosse Professor, bitte bestätigen Sie Ihre Diagnose.«
»Gern. Eine Gehirnerschütterung erfordert mindestens vierundzwanzig Stunden Bettruhe. Nun, Sie müssen nicht unbedingt im Bett bleiben, aber arbeiten können Sie auf keinen Fall. Sie müssen ein wenig ausspannen und viel schlafen. Ach, und bitte keinen Wodka. Nicht einmal Bier. Vor allem brauchen Sie Schlaf. Und am besten sollte die ganze Zeit jemand bei Ihnen sein. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, aber wichtig. Walentina Nikolajewna?«
Sie nickte, ohne zu lächeln. »Natürlich, Genosse Professor. Wenn es nötig ist, verlege ich meine Schicht.«
Wenn der General nicht so einen vollkommen erschöpften Eindruck
Weitere Kostenlose Bücher