Ruth
still, als Boas seine Hand erhob und Ruhe befahl. „Wenn ich euch
führen soll, müssen meine Befehle befolgt werden“, sagte er finster. „Dieser
Frau wird kein Leid zugefügt, bis ich zurückkehre. Nehmt diese Bedingung an,
oder ernennt einen anderen, um das Heer an meiner Statt zu führen.“
Einen Augenblick lang herrschte
Stille, dann erhob Eliab seine Stimme.
„Boas ist unser Führer!“ rief
er aus. „Ich marschiere hinter dem Löwen von Juda, denn ich weiß, daß der Herr
auf seiner Seite ist und ihm den Sieg schenken wird.“
„Boas muß uns führen!“ rief
eine andere Stimme.
„Rette uns vor Moab!“ nahm da
die Menge den Schrei auf, und alle riefen nach Boas.
„Ich werde das Heer gegen Moab
führen“, versprach er. „Und wenn es Gottes Wille ist, werden wir siegen. Aber
der Moabiterin darf kein Schaden zugefügt werden, bis ich zurückkehre und die
Untersuchung fortgesetzt werden kann.“
„Sie ist eine Spionin“, beharrte
Tob.
„Irgend jemand ist ein Spion“,
stimmte Boas bei. „Und wenn ich zurückkehre, werde ich herausfinden, wer.“
Er wandte sich zu Abiram. „Nimm
vier Soldaten, und folge mir zum Kerker beim Tor. Die Mauern sind dick, und mit
dir als Beschützer wird Ruth dort in Sicherheit sein, bis ich zurückkommen
kann.“
19
„Es tut mir leid, daß ich dir
nur den Kerker bieten kann, Ruth“, sagte Boas, während sie mit Abiram und den
Wachen darauf warteten, daß der Wärter die Tür aufschloß. „Aber es ist der
einzige Ort, an dem ich dich in Sicherheit weiß, während ich fort bin.“
„Es macht mir nichts aus“,
lächelte sie. „Ohne dich läge ich bereits tot unter den Steinen.“
Der Wärter öffnete, und sie
konnten in einer Ecke auf Stroh einen Haufen Lumpen erkennen. „Es ist die
Irre“, erklärte er.
„Was macht sie hier?“ wollte
Boas wissen.
„Ola hat an diesem Morgen so
viel Wirbel gemacht, daß Cheb uns sagte, wir sollten sie für eine Weile
einsperren.“
„Es ist gut“, beruhigte Ruth.
„Ich fürchte mich nicht vor ihr.“
„Wartet draußen“, sagte Boas zu
Abiram und dem Wärter. Dann ergriff er Ruths Hand. „Ich werde die Wahrheit
herausfinden, Ruth“, versprach er, „sobald ich zurückgekehrt bin.“
Sie berührte seine Wange. „Gott
ist gerecht, und ich hoffe auf ihn. Aber Israel braucht dich jetzt, du mußt
gehen.“
„Entweder lügt Cheb oder Tob.
Ich werde sie dazu bringen, die Wahrheit zu sagen, und wenn ich ihnen mit
diesen beiden Händen den Hals umdrehen muß.“
„Mach deinem Volk keinen
Vorwurf. Man hat sie gelehrt, die Moabiter zu hassen.“
„Auch ich habe sie gehaßt“,
erinnerte er sie. „Aber du hast mir gezeigt, daß man auf den Menschen sehen
muß. Vielleicht können wir gemeinsam mein Volk lehren, andere zu lieben, wie
Gott es befiehlt.“
„Alles, was ich jetzt tun kann,
ist, dich zu lieben“, erwiderte Ruth.
„Gott sei mit dir, Ruth.“ Er
zog sie für einen Augenblick an sich, dann wandte er sich um und schloß die Tür
des Kerkers hinter sich.
Draußen legte er Abiram die
Hand auf die Schulter. „Es wird mir leid tun, dich im Kampf nicht neben mir zu
wissen“, sagte er. „Aber mein Herz ist in dieser Zelle, bewache sie mit deinem
Leben.“ Vor dem Kerker hatte sich eine Menschenmenge versammelt. Cheb unter
ihnen. „Du hast uns eben angeboten, uns über einen geheimen Paß nach Moab zu
führen“, rief Boas ihm zu. „Kannst du uns einen Weg zeigen, der es uns
ermöglicht, die Moabiter an einer Stelle anzugreifen, wo sie uns nicht
erwarten?“
„Ich werde euch direkt in ihren
Rücken führen“, versprach Cheb, war aber vorsichtig genug, Boas das zufriedene
Aufleuchten seiner Augen nicht sehen zu lassen.
„Dann komm“, forderte Boas ihn
auf. „Es gibt keine Zeit zu verlieren.“
Eliab hatte den befriedigten
Ton in der Stimme des Karawanenführers nicht überhört. Er entschied, daß Cheb
besonderer Aufmerksamkeit bedürfe.
Lange Zeit, nachdem Boas
gegangen war, kniete Ruth neben der rauhen Bank, die der einzige
Einrichtungsgegenstand der Zelle bildete, in der sie mit Ola eingesperrt war.
Sie betete für Boas und den Erfolg der Verteidigung Israels. Als sie ihr Gebet
beendet hatte, blickte sie zu der Irren hinüber, die sich wie ein Kind auf dem
Stroh zusammengerollt hatte und immer noch fest schlief. Die arme Kreatur
schien keine Gefahr darzustellen, und mit Abiram als Wache vor der Tür wußte
Ruth, daß sie nichts zu befürchten hatte. So streckte sie sich
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