Ruth
sich zu sammeln.
„Nebo!“ schrie Hedak
verzweifelt. Aber als Nebos Hand an seinen Dolch fuhr, holte Eliab mit seinem
Speer aus, und die Hand des moabitischen Hauptmanns zuckte zurück.
Hedak wandte seinen Kopf, um zu
sehen, warum Nebo nicht warf. Er rutschte mit einem Fuß aus, stolperte und fiel
auf die Knie. Augenblicklich war Boas’ Schwertspitze an seinem Hals.
„Ich ergebe mich!“ keuchte
Hedak. „Ich ergebe mich!“
„Und deine Armee mit dir?“
forderte Boas.
„Ja, ja! Aber verschone mich!“
„Laß deine Waffen fallen“,
befahl Boas. Als Hedak gehorchte, trat er zurück, um den geschlagenen
moabitischen Feldherrn sich erheben zu lassen. Langsam kam Hedak auf die Füße.
Dann wirbelte er plötzlich herum und rannte auf das Götzenbild und die Krieger
dahinter zu, als ob er bei Kamosch Zuflucht suchte, nachdem er im Zweikampf
unterlegen war.
„Deinen Speer, Eliab“, sagte
Boas ruhig. Eliab warf den Speer und Boas fing ihn geschickt auf. Hedak war
beinahe bei dem Götzenbild angelangt. Als er abbog, um dahinter Zuflucht zu
suchen, hob Boas den Speer und warf ihn mit kraftvollem Schwung, wie er es die
Soldaten im Lager in der Ebene gelehrt hatte.
Hedak schrie auf vor Qual und
griff nach dem Speer, dessen scharfe Spitze ihn durchbohrt hatte, aber nicht
einer der Soldaten, die hinter der Statue ihres Gottes kauerten, kam ihm zu
Hilfe. Sie waren wie gelähmt, daß Hedak den Zweikampf mit Boas verloren hatte,
und erschrocken über die Leichtigkeit, mit der Boas’ Speer sein Ziel über eine
derartige Entfernung traf.
„Der Gott Israels hat
gesprochen!“ rief Eliab aus. „Tod den Moabitern!“
„Tod den Moabitern!“ wiederholten
die Israeliten und stürzten in die Schlucht hinunter. Sie sandten einen Hagel
von Speeren voraus und erstachen die nicht getroffenen Feinde mit dem zweiten
Speer, den jeder Krieger bei sich trug.
Durch den Tod ihres Feldherrn
und die Speere, die todbringend auf sie herabregneten, demoralisiert, vergaßen
die Moabiter sogar, ihre berühmten Schwerter zu benutzen, als sie versuchten,
aus dem von ihnen gelegten Hinterhalt zu entkommen, der zu ihrer eigenen
Todesfälle geworden war.
Der Kampf war bald vorüber, als
die Israeliten von allen Seiten der Schlucht auf die glücklose Armee Moabs
herabströmten. Diejenigen, die nicht getötet waren, wurden als Gefangene
genommen, und Tausende von Waffen und große Beute fielen in die Hände der
triumphierenden Krieger Israels.
„Gott hat uns einen großen Sieg
geschenkt“, sagte Boas vor seinem siegreichen Heer, als der kurze Kampf beendet
war und es zum Rückmarsch nach Betlehem bereitstand. „Moab wird uns nicht mehr
bedrohen.“ Noch auf dem Schlachtfeld stimmte er mit gesenktem Haupt ein
Dankgebet an.
22
Am späten Nachmittag des
folgenden Tages zog Boas unter dem Jubel des Volkes in Betlehem ein. Er hielt
sich jedoch nicht damit auf, die Beifallskundgebungen entgegenzunehmen, sondern
ritt geradewegs zum Kerker.
Ruth stand in einer Ecke der
Zelle und blickte durch das kleine vergitterte Fenster zum Himmel auf. Die
Nachricht von dem großen Sieg über die moabitische Armee und Hedak war bereits
nach Betlehem gedrungen, aber sie wußte noch nicht, was ihr Schicksal sein
würde. Als sie hörte, daß die Tür geöffnet wurde, drehte sie sich um — und sah
Boas vor sich stehen.
„Gott sei Dank, du bist
unversehrt“, rief sie aus und rannte ihm entgegen. „Mein Gebet wurde also doch
erhört. Du hast haltgemacht, ehe Cheb dich in die Falle führen konnte.“
„Abiram traf mich am Rande der
Stadt und hat alles erzählt“, sagte er. „Jetzt weiß ich, daß es deine Stimme
war, die dort in der Ebene zu mir gesprochen hat. Hedak ist tot, und die
moabitische Armee ist besiegt. Von nun an können Moab und Israel in Frieden
miteinander leben.“
„Das ist es, was Machlon
wollte. Wo immer er ist — ich weiß, auch er wird glücklich sein.“
Die Menge, die sich am
folgenden Morgen vor den Toren Betlehems versammelt hatte, begrüßte Boas mit
großem Jubel, als er durch ihre Reihen schritt, Ruth an der einen Hand und
Noëmi an der anderen. Er betrat die niedrige Plattform am Brunnen und erhob
seine Hand, um Ruhe bittend. Als alles still war, begann er zu sprechen:
„Die Tore Betlehems waren seit
jeher stolze Tore. Aber wir können uns niemals ein stolzes Volk nennen, wenn
wir die Wehrlosen, die Armen, die Unterdrückten, die Unschuldigen nicht
beschützen.“
Er streckte seine Hand aus
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