Ruth
Dankbarkeit für
sie spionieren?“ Er sah sich im Rat um. „Ich werde meine Treue zu Juda und
Israel beweisen. Ihr alle kennt den Inhalt der Botschaft, die ich der Spionin
überbringen sollte. Vor langer Zeit, als ich mich noch mit dem Schmuggel über
die Grenze befaßte, habe ich versteckte Pfade durch die Berge nach Moab hinein
gefunden. Zieh das Heer zusammen, Boas, und ich werde euch über geheime Wege
führen, so daß ihr Hedak angreifen könnt, ehe er in Juda einfällt.“
„Würde Cheb ein solches Angebot
machen, wenn er ein Spion wäre, wie du es behauptest, Boas?“ forschte Tob.
Boas sah Cheb eindringlich an,
aber der Karawanenführer hielt jetzt seinem Blick mit unverschämter Sicherheit
stand. „Wir werden auf dein Angebot zurückkommen, Cheb, nachdem Moab uns
angegriffen hat“, sagte er. „Aber wir werden nicht die ersten sein, die zum
Schwert greifen.“
Die Mitglieder des Rates gaben
im Chor ihre Zustimmung zu erkennen. Nachdem wieder Ruhe eingetreten war,
fragte Natan: „Hast du weiteres zu deiner Verteidigung zu sagen, Ruth von
Moab?“
„Nur, daß ich keine Spionin
bin. Wenn ich es wäre, hätte ich auf die Warnung gehört, die Cheb mir angeblich
aus Moab zu überbringen hatte, und hätte Betlehem früh an diesem Morgen
verlassen, um mich Hedak anzuschließen.“
„Und ich sage, es ist bewiesen,
daß diese Frau eine Verräterin, eine Mörderin und eine Ehebrecherin ist“, rief
Tob aus. „Bestreite es, wenn du kannst!“ forderte er Ruth heraus.
„Vor dem Allerhöchsten — ich
bestreite es.“
„Hört euch das an!“ Tob schrie
beinahe. Er wandte sich um und sah Ruth mit sprühenden Augen an.
„Gotteslästerin!“ rief er aus. „Mögest du mit den Worten deines Frevels auf den
Lippen erschlagen werden.“
„Laßt uns unsere Stimmen
abgeben und dieses Possenspiel beenden“, forderte eines der Ratsmitglieder
unter der Zustimmung der meisten andern.
Ruth wußte, daß sie verloren
hatte, aber sie blickte ihre Richter an, mit Stolz und ohne Zagen. Als ihre
Augen Boas’ Blick begegneten, lächelte sie tapfer, um ihm ihre Dankbarkeit zu
zeigen. Sie wußte, daß er bis zum äußersten um ihre Rettung gekämpft hatte, und
sie glaubte auch zu ahnen, was in den Stunden vor der Verhandlung in ihm
vorgegangen war.
„Macht euch zur Stimmabgabe
bereit“, forderte Natan den Rat auf, aber bevor er die einzelnen befragen
konnte, erscholl draußen ein Trompetenstoß. Man hörte das Getrappel von Hufen,
dem ein aufgeregtes Klopfen an der Tür folgte.
„Öffnet!“ rief eine
Männerstimme, und auf ein Nicken Natans öffnete einer der Wachtposten die Tür.
Eliab trat in den Raum, sein Gesicht war ernst und besorgt. Abiram folgte ihm.
„Wir sitzen zu Rate, Eliab“,
protestierte Tob, aber der israelitische Hauptmann schnitt ihm das Wort ab.
„Juda ist im Krieg!“ verkündete
er. „Die Moabiter haben unter Hedak angegriffen. In der vergangenen Nacht wurde
Joseph hinterhältig ermordet.“
Boas war aufgesprungen, bevor
Eliab zu Ende gesprochen hatte.
„Diese Verhandlung muß ruhen,
bis ich zurückkehre“, sagte er zu Natan.
„Was?“ schrie Tob. „Diese
Nachricht reicht aus, um die moabitische Frau zehnmal zu verdammen. Werft sie
dem Volk vor, damit sie gesteinigt werde!“
„Ich habe noch nicht genug gehört,
um sie schuldig oder nicht schuldig sprechen zu können“, beharrte Boas. „Ich
gehe jetzt, um das Heer zur Verteidigung Judas und Israels zu führen, aber ich
warne jeden von euch, in dieser Sache das Recht in seine eigenen Hände zu
nehmen.“
„Wir wissen, warum du sie
beschützt“, rief Tob aus. „Weil sie sich dir in der vergangenen Nacht auf dem
Dreschboden hingegeben hat!“
Bevor Boas antworten konnte,
wandte sich Tob an den Rat und die Leute, die hinter Eliab und Abiram in den
Raum geströmt waren.
„Warum lag diese Heidin, diese
moabitische Dirne in Boas’ Armen?“ fragte er. „In der gleichen Nacht, in der
ihre Leute unser Land überfallen und Joseph ermordet haben? Warum — wenn nicht,
um Boas von der Verteidigung Israels abzuhalten?“
Zorngebrüll erhob sich unter
der Menge, die sich drohend auf Ruth zudrängte. Aber Boas stellte sich vor
Ruth, Abiram und Eliab standen zu beiden Seiten neben ihr. Vor den blanken
Schwertern der beiden Hauptleute wichen die Leute wieder zurück.
„Höre, o Gott!“ flehte Tob
dramatisch. „Höre, wie dein Volk von der moabitischen Dirne betrogen worden
ist!“
Wieder schrie die Menge auf,
aber sie wurde
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