Rywig 02 - Hab Mut, Katrin
Füßen zu stehen. Sie kann einen dauern, weil sie grenzenlos verzogen worden ist, weil sie nicht gelernt hat, wie man sich unter Menschen benimmt, weil sie nicht gelernt hat, eine Sache vernünftig zu durchdenken. Deswegen kann sie einen dauern.“
„Das sind harte Worte, Anja.“
„Vielleicht. Aber sie müssen einmal ausgesprochen werden. Du bist ein großartiger Mensch, Andreas. Du bist der beste Kamerad von der Welt, und ich bin dir ganz bodenlos und unbeschreiblich gut. Aber deshalb bin ich noch lange nicht blind. Und dieses Problem mit Katrin muß aus der Welt geschafft werden, und das müßt ihr beide tun, Paul und du. Ich würde gern zu helfen versuchen, aber ich kann es einfach nicht, weil Katrin mir mit solchem Haß begegnet.“
„Das tut sie doch gar nicht.“
„Nicht? Aber du kannst ganz getrost sein, hättest du dich mit der Loren verlobt oder mit einer englischen Herzogin, sie hätte die auch so gehaßt. Du mußt jedenfalls den Dingen ins Auge sehen, Andreas. Du mußt ihr begreiflich machen, daß dein Haus immer ihr Zuhause sein wird, sie darf niemals das Gefühl haben, heimatlos zu sein -aber sie muß verstehen, daß sie jetzt eine Weile in die Welt hinaus muß, etwas lernen muß, und sie muß mich als deine Frau anerkennen, als ihre eigene Schwägerin und als Hausfrau in unserem Hause.“
Anja ergriff ihre Tasche und schickte sich an auszusteigen. Andreas drückte ihre Hand.
„Du bist ein kluges Mädchen, Anja. Ich verstehe jedenfalls, daß ich diese Geschichte gründlich durchdenken und dann zusehen muß, was wir tun können.“
„Ja, ja, das ist doch immerhin was“, sagte Anja lächelnd, aber es war ein müdes und bleiches kleines Lächeln. „Gute Nacht, du, und sieh zu, ob du aus dem unmöglichen Mädel doch noch einen Menschen machen kannst.“
„Gute Nacht, Anja, Liebling.“
Andreas fuhr langsam durch den Sommerabend heimwärts.
Ja, Anja hatte gut reden. Natürlich, es war richtig, was sie sagte -es mußte etwas geschehen. Und das erste, was geschehen mußte, war das Schwierigste von allem: Katrin klarmachen müssen, daß das Zuhause, das sie bisher als das ihre betrachtet hatte, ihr nicht gehörte. Das Haus hatten Andreas, Paul und ihre älteste verheiratete Schwester Lena von ihrer Mutter geerbt. Katrin hatte juristisch keinerlei Anspruch darauf. Lena und Paul waren damit einverstanden, daß Andreas als ältester Sohn das Haus behielt, was aber sollte aus Katrin werden?
Andreas seufzte. Er mußte Lena schreiben. Sie mußte helfen. Katrin hatte keine Mutter, aber sie hatte eine vierzehn Jahre ältere Schwester. Schwager Ulf war sogar Katrins Vormund.
Nachdem Andreas zu diesem Schluß gekommen war, fuhr er den Wagen in die Garage und ging leise in das nachtdunkle Haus.
Wahrhaftig, Katrin konnte einen dauern -.
„Kommst du heute mit in die Stadt, Katrin?“ fragte Andreas einige Tage später am Frühstückstisch.
„Ja, gern. Ist was Besonderes los?“
„Nur etwas, was die meisten jungen Mädchen entzücken dürfte“, sagte Andreas lächelnd. „Ich wollte vorschlagen, daß du dir ein neues Kleid kaufst. Ich dachte, du hättest vielleicht Lust auf ein neues Kleid für die Verlobungsgesellschaft am Samstag.“
„Sieh mal an, hier soll eine Gesellschaft stattfinden.“
„Hier nicht, das ist doch klar. Zu Hause bei Anja und ihrer Mutter.“
„Ich habe keine Lust hinzugehen.“
„Das ist ja reizend. Dann bekommen die Gäste allerdings einen hübschen Eindruck von meiner Schwester. Ich dachte nicht, daß ich das um dich verdient hätte, Katrin.“
Die Schwester stand jäh vom Tisch auf und ging in die Küche. Kurz darauf kam sie wieder herein. Sie hatte sich für die Stadt angezogen.
„Na schön, dann komme ich mit, wenn du durchaus willst, daß ich dieses lächerliche Kleid kaufe. Soll es ein Abendkleid sein oder ein Teekleid oder -.“
„Frag nicht so dumm“, lachte Andreas. „Ein schlichtes, kurzes Abendkleid, denke ich.“
Paul hatte den Wagen aus der Garage geholt. Er und Andreas wechselten sich im Fahren ab. Aber jetzt lächelten sich die Brüder zu.
„Katrin wird sicher gern fahren wollen.“ Das wollte Katrin gern. Durch das Fahren und das gute Wetter stieg ihre Stimmung um einige Grad. Und natürlich machte es Spaß, loszugehen und sich ein neues Kleid zu kaufen - sie brauchte nicht einmal zu gehen, sie konnte den Wagen nehmen und von Geschäft zu Geschäft fahren.
Als sie auf den Parkplatz vor der Bank einbogen, gewahrte sie mit einem mal Anja.
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