Rywig 08 - Sonjas dritte Sternstunde
Stunde, bis es wieder losgeht!“
„Wird es dir nicht zuviel, Tante Helene?“ fragte ich besorgt.
„Vielleicht möchtest du den Nachmittagsausflug ausfallen lassen?“ „Unter keinen Umständen! Wenn ich ein einziges Mal im Leben die Gelegenheit habe, einen Blick nach China hinein zu werfen! Und Reisfelder zu sehen! Aber wenn wir zurückkommen, sinke ich ins Bett, das kann ich dir sagen!“
Gerade wollten wir in den Lift steigen, da fiel mir etwas ein: „Tante Helene - wir haben keine Kekse für unseren Kaffee morgen früh! Ich hole schnell welche, ich meine, so ein Geschäft ganz in der Nähe gesehen zu haben!“
„Gut, aber bleibe nicht so lange, daß ich Angst um dich kriege. Schreib den Hotelnamen auf einen Zettel und steck ihn in die Tasche, damit man weiß, wo man dich hinbringen soll, falls du überfahren wirst!“
„Gut, mache ich. Ich bin nur dankbar, solange du mir kein PappNamensschild um den Hals hängst! Laß die Zimmertür auf, ich bin gleich wieder da!“
Ich fand ein Lebensmittelgeschäft gleich um die Ecke, kaufte meine Kekse und ging zurück. Plötzlich blieb ich stehen. In einer kleinen Seitenstraße, an der ich vorbei mußte, sah ich einen Hund. Einen so elenden, ausgemergelten, schmutzigen Hund, wie ich ihn nie in meinem Leben gesehen hatte. - Und ich hatte viel gesehen! Ich hatte in Afrika die entsetzlich mageren Massaihunde gesehen, ich hatte die verwahrlosten Hunde gesehen, die an den Eisenbahnstationen rumlungerten und immer am Speisewagen bettelten. Aber dieses Tier hier - großer Gott, wie mußte es gehungert haben! Es war ein Wunder, daß es sich auf den Beinen halten konnte!
Ich riß die Keksrolle auf, ging in die Hocke, versuchte das Tier anzulocken. Es schnüffelte im Rinnstein, es war deutlich, daß es etwas Freßbares suchte. Ich warf ihm einen Keks hin. Er ging einen Schritt, sah mich, traute sich nicht - ich zog mich etwas zurück, hockte mich wieder hin, ohne darauf zu achten, daß meine Kehrseite sich jetzt auf dem Bürgersteig der Hauptstraße befand. Ich hatte nur Augen für den Hund.
Er kam einen Schritt näher. Herrgott, was für ein elendes Tier. Sein Hals war ganz zerkratzt, er war bestimmt voll Ungeziefer.
Ich warf ihm noch einen Keks hin - noch einen. „Komm, Hündchen“, sagte ich leise. „Komm, heut sollst du satt werden, komm, heut wirst du gestreichelt, hat dich schon jemand gestreichelt, armes Hündchen?“
Ich warf vier, fünf Kekse auf einmal. Der Hund nahm sie von dem unsagbar dreckigen Rinnstein, wo sie leider hingerollt waren.
Dann plötzlich schoß ein Kind raus aus einer Tür. Ein kleiner Junge in einer zerlumpten Hose. Er war wie der Blitz, riß ein paar Kekse an sich - aus dem Rinnstein - und stopfte sie in den Mund.
Ich versuchte, das Kind an mich zu locken. Aber es blieb stehen
- der Hund auch.
Beide schauten sie mich an.
Dann warf ich dem Kind eine Handvoll hin. Und während es die Kekse aufsammelte, konnte ich dem Hund etwas geben.
Dann bekam ich einen Schubs von hinten.
„Oh, I’m sorry - ach, Sie sind es, Mrs. Brunner, was in aller Welt machen Sie hier?“
Es war der Deutschlehrer, der rotbärtige Mr. Nicol. Er kam mit ein paar anderen vom Essen.
„Ich füttere ein Kind und einen Hund“, sagte ich. „Mr. Nicol, tun Sie mir einen Gefallen? Zwei Häuser weiter ist ein Lebensmittelgeschäft, kaufen Sie mir bitte drei Keksrollen - ich muß hierbleiben und aufpassen, daß der Hund sich nun richtig satt ißt.“
„Das ist bestimmt das erste Mal in seinem Leben“, sagte Mr. Nicol. „Ich mache schnell, Frau Brunner!“
Er lief los. Dann kamen die Schwestern Smith und das Ehepaar Stone.
„Nanu“, sagte Mr. Stone gutmütig, als er mich hockend auf dem Bürgersteig entdeckte. „Sie sind es, die hier Verkehrsbehinderung spielt!“
In diesem Augenblick kam der Hund zwei Schritte näher. Ob er wohl wagen würde, einen Keks aus meiner Hand zu nehmen? Ich lockte, hielt ihm den Keks hin.
„Gott, jag doch das widerliche Vieh weg!“ klang hinter mir die Stimme, die ich von diesem Augenblick an haßte. „So was Dreckiges, wir kriegen ja alle Ungeziefer und Krankheiten. mach, daß du wegkommst!“
Der Hund scheute zurück. Er traute sich nicht mehr, näherzukommen. Das Kind hatte die harte, böse Stimme gehört und rannte davon, tiefer in die enge, schmutzige Seitenstraße.
Hinter mir hörte ich das harte Klappern von Mrs. Stones Blockabsätzen auf dem Asphalt.
Ich hätte sie erwürgen können.
Als Mr. Nicol mir die
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